Ist die Gefährdungsbeurteilung eine Geheimsache?

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  • Guten Abend,

    ein Unternehmen mit über 1500 Mitarbeitern beginnt die erstmalige systematische Beurteilung psychischer Belastungen mit einem Projekt. Nach Anwendung eines verhältnispräventiv orientierten und bei der BAuA registrierten Befragungsinstrumentes werden 5 Arbeitsplatzgruppen identifiziert, bei denen das Gesundheitsrisiko durch mentale Fehlbelastungen möglicherweise zu hoch sein könnte. Es geht hier um die Arbeitsbedingungen von etwa 60 Mitarbeitern, darunter viele Logistiker mit stark schwankenden arbeitsbedingten psychosozialen Belastungen.

    Nach der Befragung werden vom Betriebsrat und der Betriebsleitung Maßnahmen definiert. Einer der betroffenen Mitarbeiter weiß, dass nach dem Beschluss 1 ABR 42/10 des BAG vom 8.11.2011 jedoch keine Maßnahmen ohne vorausgehende Gefährdungsbeurteilung beschlossen und umgesetzt werden. Er beschwert sich, dass der Schritt der Gefährdungsbeurteilung übersprungen wurde.

    Daraufhin bezeichnet das Unternehmen die Niederschrift der Untersuchungsergebnisse des Befragungsprojekts als "Gefährdungsbeurteilung". Der Betriebsrat stimmt zu.

    Der Mitarbeiter meint nun, dass er ein Recht auf einen Einblick in die Gefährdungsbeurteilung seines Arbeitsplatzes habe. Er verlangt, dass aus den Untersuchungsergebnissen eine Gefährdungsbeurteilung (GB) zu seiner Arbeitsplatzgruppe erstellt wird (Einblick in die Beurteilung anderer Arbeitsplätze verlangt er natürlich nicht), in die er Einsicht nehmen kann und die er in seine Personalakte abgelegt haben will. Die Betriebsleitung und der Betriebsrat lehnen seinen Wunsch ab. Darum hat der Mitarbeiter keine Dokumentation über die für seinen Arbeitsplatz ermittelten psychischen Gefährdungen.

    Darf eine den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Gefährdungsbeurteilung den von ihr betroffenen Mitarbeitern vorenthalten werden? Hat ein Arbeitnehmer nicht nur das Recht, eine vollständige Gefährdungsbeurteilung seines Arbeitsplatzes zu erhalten, sondern hat er nicht sogar die Pflicht, auch selbst basierend auf dieser Gefährdungsbeurteilung Gesundheitsrisiken zu mindern?


    Alles Beste
    achtzehntausendeins

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  • Zitat achtzehntausendeins

    " Darf eine den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Gefährdungsbeurteilung den von ihr betroffenen Mitarbeitern vorenthalten werden? Hat ein Arbeitnehmer nicht nur das Recht, eine vollständige Gefährdungsbeurteilung seines Arbeitsplatzes zu erhalten, sondern hat er nicht sogar die Pflicht, auch selbst basierend auf dieser Gefährdungsbeurteilung Gesundheitsrisiken zu mindern?""

    Ich habe dazu folgendes gefunden und meine Meinung ist eine gute Gefährdungsbeurteilung kann nur in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Mitarbeiter erstellt werden und Kann deshalb auch keine Geheimsache sein.

    Das Arbeitsschutzgesetz gibt dem Arbeitgeber die Pflicht zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen

    und zur Dokumentation auf. Der Arbeitgeber kann und soll jedoch auch die betrieblichen

    Führungskräfte, Mitarbeiter, Betriebsrat, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Betriebsarzt

    sowie Sicherheitsbeauftragte einbeziehen. Die Aufgaben- und Kompetenzverteilung richtet


    sich dabei nach der betrieblichen Struktur und den bestehenden Organisationsabläufen.

    Die geforderte Dokumentation ist jedoch nicht nur als Nachweis gegenüber der zuständigen

    Überwachungsbehörde zu betrachten. Sie ist vielmehr ein wertvolles Hilfsmittel für die betriebliche

    Sicherheitsarbeit und kann als Grundlage für die Information der Mitarbeiter und

    die Arbeit der Führungskräfte genutzt werden. Gleichzeitig dient sie der betrieblichen Transparenz

    und Kommunikation.

    MfG Ingo

    Was die Zukunft anbelangt, so haben wir nicht die Aufgabe, sie vorherzusehen,

    sondern sie zu Ermöglichen. (Antoine de Saint Exupery) Wenige Menschen denken und doch wollen alle entscheiden. (Friedrich II. der Große)

    Tu was Du willst - aber nicht, weil Du musst. (Buddha)

  • Hallo achtzehntausendeins,

    ...Darf eine den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Gefährdungsbeurteilung den von ihr betroffenen Mitarbeitern vorenthalten werden? Hat ein Arbeitnehmer nicht nur das Recht, eine vollständige Gefährdungsbeurteilung seines Arbeitsplatzes zu erhalten, sondern hat er nicht sogar die Pflicht, auch selbst basierend auf dieser Gefährdungsbeurteilung Gesundheitsrisiken zu mindern?...


    Für manche Bereiche gelten natürlich die zusätzlich dafür festgelegten Informationspflichten (z.B. Gefahrstoffe), aber der Arbeitgeber muss afaik die GBU dem Arbeitnehmer nicht zeigen oder geben.
    Aber: Er muss die festgelegten Maßnahmen aus der GBU unterweisen. Somit ist auch die GBU bekannt ;)
    Wenn der Arbeitgeber etwas nicht bekanntgeben möchte, bekommt das aber ein seltsames Gschmäckle.

    Gruß
    Stephan

    Respekt, Verständnis, Akzeptanz, Wertschätzung und Mitgefühl

  • Bei uns sind die GB keine Geheimsache. Ich verwalte im Intranet die Safety , Health and Environment Seite. Dort findet man alle Information wie GB,BA, Schulungen,Gesetze......Die Mitarbeiter haben alle Leserechte eingeräumt bekommen.Ordner mit Inhalten die dem Datenschutz unterliegen habe ich gesperrt bzw.nur einem kleinen berechtigten Kreis den Zugriff ermöglicht.

  • Hallo Zusammen,

    bei uns liegt die Gefährdungsbeurteilung für alle Arbeitsplätze für jeden Mitarbeiter lesbar auf dem Firmennetz. Die Führungskraft erstellt sie in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern und mir. Dinge die den Datenschutz oder persönliches betreffen sind davon ausgenommen.

    Mit freundlichen Grüssen aus Braunschweig!

    Hans-Jürgen

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  • muss der AG eine Gefaehrdungsbeurteilung noch nicht einmal dokumentieren...theoretisch!!! Dokumentiert werden muessen die Ergebnisse und abgeleitete Massnahmen.

    Allerdings sehe ich auch hier keine Notwendigkeit, dies als "geheim" einzustufen. Ueblicherweise wird eine solche GB ja sogar mit den MA durchgefuehrt. Hier eine Rechtsgrundlage zur "Akteneinsicht" zu finden, faellt mir allerdings auch schwer...

    UIn diesem Sinne
    Der Michael

    "You'll Clean That Up Before You Leave..." (Culture/ROU/Gangster Class)

  • Hallo Zusammen,

    auch wenn wir es bei uns ganz anders handhaben, muss der Arbeitgeber weder die GF dokumentieren oder bekannt machen. Wie mein Vorredner richtigerweise sagte, "Der Unternehmer muss nur das Ergebnis der GF dokumentieren" und selbstvverständlich unterweisen. Es gehört m.M. nach zum guten Umgangston offen darüber zu sprechen, aber eine gesetzliche Grundlage dafür kenne ich nicht.
    Es nicht zu veröffentlichen würde bei mir alle Alarmsierenen angehen lassen.

    Gruß aus dem Pott
    Ruhrpott-Harry

  • MichaelD
    Ruhrpott-Harry

    Hallo!
    Eure Aussagen scheinen mir richtig aber nicht justiziabel.
    Meine Mit-Sifas unterscheiden zwischen Gefährdungsanalysen und Gefährdungsbeurteilungen.
    Gerichtlich entschieden ist, dass der AN keinen Anspruch auf eine bestimmte Art der Erhebung der Gefährdungsanalysen hat.
    Die Gefährdungsbeurteilung ist ja eine Beurteilung der vorgefundenen Fakten. Deshalb ist mir unklar welche Unterscheidung es zwischen einer GeBe und den Ergebnissen einer GeBe herrschen soll.
    Dass jeder AN die GeBe seiner Tätigkeit, seines Arbeitsplatzes einsehen darf, scheint mit ebenfalls aus dem erinnerten Gerichtsurteil, eindeutig hervor zu gehen.
    Die Gefährdungsbeurteilung durften bislang (bis zum Jahr 2012??) in kleinen Betrieben auch nicht schriftlich vorliegen. Wenn ich dies richtig weiß, ist damit Schluss.
    Das ArbSchG selber, und die begleitenden Kommentare sind seit einem Jahr deutlich restritiver geworden.

    Grüße
    flügelschraube

  • Moin,

    Die Gefährdungsbeurteilung durften bislang (bis zum Jahr 2012??) in kleinen Betrieben auch nicht schriftlich vorliegen.

    "durften"??
    Sie "brauchten" nicht schriftlich vorzuliegen ...

    "Mit zunehmendem Abstand zum Problem wächst die Toleranz." (Simone Solga)
    "Toleranz ist das unbehagliche Gefühl, der andere könnte am Ende doch recht haben." (Robert Lee Frost)
    "Geben Sie mir sechs Zeilen von der Hand des ehrenwertesten Mannes - und ich werde etwas darin finden, um ihn zu hängen." (Kardinal Richelieu)
    "Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse" (Antoine de Saint-Exupéry)

    "Wie kann ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?" (Edward Morgan Forster)

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  • ...da erinnere ich mich mal gerne an meinen alten Mathelehrer: Dem war, und das kennen sicher noch einige, bei komplexen Problemstellungen der Loesungsweg wichtiger als das Ergebnis. Bei meiner Aussage zur GB ist es halt genau umgekehrt....

    In diesem Sinne
    Der Michael

    "You'll Clean That Up Before You Leave..." (Culture/ROU/Gangster Class)

  • @ Flügelschraube
    ArbSchG § 6 Dokumentation

    (1) Der Arbeitgeber
    muß über die je nach Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten
    erforderlichen Unterlagen verfügen, aus denen das Ergebnis der
    Gefährdungsbeurteilung, die von ihm festgelegten Maßnahmen des
    Arbeitsschutzes und das Ergebnis ihrer Überprüfung ersichtlich sind.

    Aus dem Gesetzestext geht (leider) nur hervor, dass das Ergebnis, die Maßnahmen und das Ergebnis der Überprüfung Dokumentationspflichtig sind.

    Ein Urteil, in dem die schriftliche Dokumentation der GB vorgeschrieben ist, kenne ich nicht.

    Bei meinem letzten Audit (OHSAS 18001) haben der Auditor und ich uns noch über dieses Thema gesprochen. Auch er bemängelte die nicht vorgeschriebene Dokumentationspflicht. Ich würde mich freuen, wenn das geregelt würde.

    Wir sprechen bei uns offen über die GB mit den Mitarbeitern, den nur so (unsere Meinung) kann man alle Gefahren erkennen und versuchen zu beseitigen.

    Allerdings kann ich mir auch vorstellen, das im oben genannten Fall die GF kein Interesse an der Veröffentlicheung hat, da es evtl. deutliche Kosten für Umstruckturierungsmaßnahmen nach sich zieht.

    Gruß aus dem Pott
    Ruhrpott-Harry

    (heute ohne Toto)

  • Der Mitarbeiter meint nun, dass er ein Recht auf einen Einblick in die Gefährdungsbeurteilung seines Arbeitsplatzes habe. Er verlangt, dass aus den Untersuchungsergebnissen eine Gefährdungsbeurteilung (GB) zu seiner Arbeitsplatzgruppe erstellt wird (Einblick in die Beurteilung anderer Arbeitsplätze verlangt er natürlich nicht), in die er Einsicht nehmen kann und die er in seine Personalakte abgelegt haben will.

    BAG · Urteil vom 12. August 2008 · Az. 9 AZR 1117/06
    http://openjur.de/u/172529.html

    Rn. 13: Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Gefährdungsbeurteilung nach den von ihm vorgegebenen Kriterien und Methoden. [....]
    Rn. 19: Die von § 5 Abs. 1 ArbSchG begründete Pflicht zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung ist zur Transformation durch § 618 Abs. 1 BGB geeignet. Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf eine Gefährdungsbeurteilung, die unter Anwendung der von ihm vorgegebenen Beurteilungskriterien und -methoden durchgeführt wird. [....]
    Rn. 32: Die Systematik des Arbeitsschutzgesetzes steht einem privatrechtlichen Erfüllungsanspruch des Klägers auf Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Abs. 1 ArbSchG iVm. § 618 Abs. 1 BGB nicht entgegen. [....]

    Einblick: Ja
    Mitsprache bei der Art der Umsetzung: Nein.

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