Hallo liebe Sifa-Gemeinde,
ich möchte gerne ein Grundlagenthema anstoßen, zu dem ich bisher noch keine passenden Themen gefunden habe.
Dabei geht es um die Frage, wann die Selbstbestimmung des Einzelnen in die Einschränkung durch die Pflichten der Arbeitgeber übergeht.
Auf der untersten Ebene stufe ich das erstmal so ein:
Art 2 (1) räumt jedem Bürger das "Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit [ein], soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt."
Art 2 (2) ergänzt um das "Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit." Letzteres sehe ich als ultimate Grundlage des Arbeitsschutzes, der ggf. Art 2 (1) einschränken kann - Verhältnismäßigkeit vorausgesetzt.
(Hier bitte nicht dran aufhängen. Das war das prägnanteste Beispiel, das ich zur Hand hatte)
In der Praxis sehe ich da vor allem Tätigkeiten, die wenigstens auf den ersten Blick zwischen Privatleben und Berufsleben vergleichbar sind, etwa Exposition durch Sonnenschein oder, wie wir sagen: Natürliche UV-Strahlung.
Im Privaten ist es unsere eigene Sache, unsere Expositionen zu beurteilen und entsprechend zu handeln. Die Konsequenzen tragen wir selbst, mit Glück abgemildert durch unsere Hausärzte, Fachärzte und die Krankenversicherung. Der Arbeitgeber hat hier (zu Recht) keine Handhabe. Sein Spielraum in recht großzügiger Auslegung der Fürsorge deckt gerade noch Aufklärung und Angebote in Zusammenarbeit mit der Arbeitsmedizin ab. (Für mich selbst ist das Privatleben der anderen Kollegen übrigens immer erstmal tabu.)
Im beruflichen Umfeld dagegen ist meiner Einschätzung nach unstrittig, daß sich hier die Regeln ändern, wenn die Exposition direkte Folge der Tätigkeit ist und die Expositionszeiten nach Stand der Technik überschreiten. Hierzu gibt es inzwischen ja reichlich Dokumentation der BGen.
Also: Ermittlung und Beurteilung von Gefährdung/Belastungen/Ressourcen, Abstimmung mit dem Betriebsarzt.
Ergibt sich eine Gefährdung, muß der Arbeitgeber handeln und entsprechende T-O-P-Maßnahmen veranlassen und durchsetzen.
Zwischenfrage: Bin ich bis hierhin richtig unterwegs?
(Ich vermute schon, da ich für diese Beurteilung volle Punktzahl bekommen habe. )
Ist dem so, muß aber auch der Arbeitgeber verstehen, daß er bei anscheinend gleichartigen Einwirkungen einmal, nämlich im Privaten, kein Recht hat, Einfluß zu nehmen, dann aber auf einmal aufgrund der Beurteilung der Arbeitsbedingungen dann doch in der Pflicht ist und seinen Mitarbeitern Einschränkungen und Maßnahmen auferlegen muß.
Bei Maßnahmen, die vollständig aus dem Arbeitssystem entstehen, gibt es auch keine Diskussionen, sondern nur bei denen auf der beschriebenen Grenze.
Jetzt die (wohl hauptsächlich psychologische) Kernfrage: Wie erklärt man das dem Arbeitgeber? Und wie bekommt man ihn aus einer "das muß doch jeder für sich selbst entscheiden"-Ecke heraus? (Übrigens nicht böswillig, sondern eher aus zu hohem Respekt vor der Selbstbestimmung.)
Habt Ihr da bewährte Ansätze? Oder Visualisierungsbeispiele, um den Übergang zu verdeutlichen?
Die Ansätze über die Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben, die Arbeitssysteme und §4 ArbSchG haben noch nicht geholfen.
Vielen Dank!