Hallo Kolleginnen und Kollegen,
anlaßbezogen bin ich heute mit zwei konkreten Fragen neu hier im Forum. Da ich als freiberufliche SiFa tätig bin, bitte ich um Verständnis für die anonyme Darstellung des Falles aus vertraglichen Gründen.
Es handelt sich um eine langsam um Längs- und Querachsen horizontal verfahrende Anlage, mit großem Massentransport. Sogenannte kollaborierende Roboter. Die Anlage arbeitet also begleitend zum Menschen, und kann technisch nicht vom Menschen getrennt werden. Bei Erfassen eines Menschen wären schwerste bis tödliche Verletzungen durch Scheren oder Quetschen zu erwarten. Es sind Lichtschranken und Opto-Sensoren ("Scanner") verbaut, die über die SPS die Anlage sicher stillsetzen sollen, wenn ein Mensch in den Gefahrenbereich gerät.
Bei einer Betriebsbegehung wird festgestellt:
- Das ursprünglich vorhandene technische Schutzkonzept ist mit der SPS vollständig außer Funktion gesetzt, d. h. alle abschaltenden Signalgeber und Sicherheitsvorrichtungen sind unwirksam, dies ist offenbar schon länger so.
- Die Anlage wird seither ausschließlich im Tipp-Betrieb
von Hand und „auf Sicht“ gefahren - dies bei teilweiser Uneinsehbarkeit von den Steuerständen aus. - An Handsteuerständen wurden Sicherheitsschaltungn ("Totmannschaltung") manipuliert!
Da die Anlage wegen Schichtende während der Zeit der Beobachtung grade stillgesetzt wurde (es handelt sich um einen Betrieb mit Einschichtbetrieb), und der Geschäftsführer für ein Gespräch zum Sachverhalt nicht erreichbar war, wurde eine kurze Frist (Stunden) bis zur Mitteilung über die vorgefundene Manipulation an die zuständige BG und Gewerbeaufsicht gestellt. Daraufhin wurde mir vom Geschäftsführer als von ihm beauftragter SiFa die Entfernung der Manipulationen und die nachhaltige Unterbindung weiterer Manipulationen schriftlich zugesagt. Von einer Mitteilung an BG und Gewerbeaufsicht wird daher vorerst für den Zeitraum einer Woche abgesehen.
Meiner Einschätzung nach muß nun schnellstmöglich eine Gefährdungsbeurteilung für den betreffenden Anlagenteil gemacht werden. Hierauf basierend dann das Konzept für die Wiederinbetriebnahme bzw. Erneuerung der SPS.
Bisher habe ich zum Thema gefunden:
- Der Anlagenbetreiber muss eine Gefährdungsbeurteilung für die Arbeitsmittel erstellen. Grundlage hierzu ist die TRBS 1111, die die Anforderungen aus § 5 ArbSchG und § 3 BetrSichV konkretisiert. Ziel hieraus ist es, die noch vorhandenen Gefährdungen für den Mitarbeiter zu ermitteln. Die Anforderungen der TRBS gehen aber über die der EN ISO 14121 hinaus, da hier das gesamte Arbeitssystem beurteilt werden muss. Bei der TRBS müssen auch Psychische Gefährdungen (z.B. Stress), "Sonstige" Gefährdungen ( z.B. durch andere Menschen) sowie die Arbeitsumgebung (Klima, Beleuchtung, ...) mit betrachtet werden.
- BG/BGIA-Empfehlungen für die Gefährdungsbeurteilung nach Maschinenrichtlinie - Gestaltung von Arbeitsplätzen mit kollaborierenden Robotern
- GBU = Gefährdungsbeurteilung = Betreiber
- RBU = Risikobeurteilung = Hersteller
- SSPS = Sicherheits-SPS: ???
- DIN EN ISO 10218-2: ???
- AKTUELL gilt: EN ISO 12100:2010 "Sicherheit von Maschinen - Allgemeine Gestaltungsleitsätze - Risikobeurteilung und Risikominderung"
- Risikobeurteilung nach EN ISO 14121-1 (bis 2013), aufgegangen in EN ISO 12100:2010
Meine Fragen dazu:
- Welche Normen und technischen Regelwerke wären hier für das Konzept der SPS und der Schutzeinrichtungen relevant und zu berücksichtigen?
- Ist eine Sicherheits-SPS (SSPS) erforderlich?
Letzteres vermute ich, finde jedoch bisher nicht den eindeutigen Hinweis.
Die Sache beschäftigt mich ununterbrochen seit Mittwoch Abend.
Hier muß dringend etwas geschehen. Ein Bußgeld durch die BG wäre für den Unternehmer noch verschmerzbar, aber eine Stillegung durch die Gewerbeaufsicht würde ich gern verhindert sehen.
Vielen Dank für Eure Hilfe zu den beiden Fragen!
K.
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