Was ist das Ziel im Arbeitsschutz?

ANZEIGE
ANZEIGE
  • Habe ich aus einem anderen Forum, weiß die Quelle aber nicht mehr. Ich fand´s interessant.

    Gefährdungsbeurteilung:
    Geht es darum, möglichst viele Gefährdungen zu haben?

    Oder wären wenig Gefährdungen besser? Ich wurde kürzlich doch tatsächlich gefragt, ob ich mal „meine“ Gefährdungsbeurteilung senden möchte.
    1. Kann man keine Gefährdungsbeurteilung senden, da dies ein Prozess ist [vgl. § 5 ArbSchG]. Man kann höchsten die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung [gem. § 6 ArbSchG] senden.

    2. Da diese Beurteilung und ihre Dokumentation situativ und partizipativ sind, können diese nicht vorab, pauschal dargestellt oder versendet werden. Zudem muss der „Arbeitgeber (lediglich) über erforderlichen Unterlagen verfügen, aus denen a. das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung, b. die von ihm festgelegten Arbeitsschutz (erforderlichen) Maßnahmen und c. das Ergebnis ihrer Überprüfung ersichtlich sind.“

    Das bedeutet:

    Die ideale Dokumentation einer Gefährdungsbeurteilung, ist ein leeres Blatt!

    Dann wäre nämlich das Maximalziel im Arbeitsschutz erreicht, da es keine Gefährdungen gibt. Ohne Gefährdungen, gibt es auch keine dokumentationspflichtigen Ergebnisse, erforderliche Maßnahmen oder Überprüfungen [gem. §6]. (Das bedeutet im Übrigen nicht, dass die Arbeitsbedingungen [gem. §5] nicht -vor Aufnahme der Tätigkeit- beurteilt wurden.)

    Laien im Arbeitsschutz, tendieren oft zu sehr überschwänglichen Dokumentationen. Damit nehmen sie an, dass sie –in jedem Fall- auf der s.g. rechtssicheren Seite sind. Nicht nur, dass dadurch der Arbeitsschutz zur Formalität und Absicherungspolitik verkommt, er wird durch diese Pauschalierung auch unspezifischer und dadurch schlechter. Wenn nun auch noch Berater (u.a. Sicherheitsingenieure), in diese Kerbe schlagen, entsteht für den Kunden ggf. sogar ein betriebswirtschaftlicher Nachteil, mindestens aber ein evtl. unnötiger Aufwand.

    Wenn schon Angst vor evtl. Kontrollen besteht, oder gemacht wird, wäre es viel sinnvoller, gute Prozesse (anstatt pauschaler Dokumentationen) zu etablieren. Wenn diese dann auch professionell den Aufsichtsbehörden dargelegt werden, gelten diese als Nachweis dafür, dass sich mit dem Thema Gefährdungsbeurteilung beschäftigt wurde, obwohl die Dokumentation evtl. ein leeres Blatt ist.

    Da solche prozessuale Arbeitsschutz- und Gefährdungsbeurteilungs-Betrachtung, gerade für Laien und kleinere Unternehmen u.U. aufwendiger ist, als eine Pauschalierung a la Lehrbuch, empfahl diese s.g Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie [GDA] einst Unternehmen bis 10 Beschäftigte eine vereinfachte Dokumentation der GB.

    Diese vereinfachte Dokumentation griffen dann die Unfallversicherungsträger [UVT] auf und kreierten imposante pauschale Handlungshilfen zum Ankreuzen. Der Verwaltungsapparat (a la spätrömischer Dekadenz) war somit perfekt.

    Die Einen (Berater) machen Angst, die Anderen (Versicherer) nehmen die Angst. Und alle verdienen daran.

    Die Urväter des Arbeitsschutzgesetzes, waren da um einiges effizienter. Diese sahen nämlich im § 6 mal eine Dokumentationspflicht, nur für Unternehmen größer 20 Beschäftigter.

    JS

    Sprichst du noch, oder kommunizierst du schon?

  • ANZEIGE
  • Da sind durchaus interessante Bemerkungen in deinem Post dabei. Und ja, ich teile auch deine Meinung bzgl. des sich auftuenden Überbordens etwaig angebotener Lösungen via Ankreuz-GBU's o. Ä.

    Das gibt mir doch glatt Hoffnung, nicht alleine zu sein 😉.

  • Spannender Beitrag!

    Die Wahrheit liegt wohl dazwischen, genau wie in verwandten Bereichen.

    Im Projektmanagement unterscheiden wir zwischen Planung (Prozeß) und Plan (Artefakt, Schnappschuß). Der Plan ist in der Praxis wertlos, eine konsequente Planung erlaubt aber flexibles (manche sagen: agiles) und proaktives Handeln.

    Risikomanagement genauso: Die Risikoliste ist eine Momentaufnahme und eigentlich nur für die Zwischenkalkulationen brauchbar; ein mitlaufender Prozeß hilft, das Projekt zu beobachten und zu erkennen, wenn Risiken realisiert werden.

    Die Einen (Berater) machen Angst, die Anderen (Versicherer) nehmen die Angst. Und alle verdienen daran.

    Das sind die beiden Extreme, finde ich. Angst ist generell ein schlechter Berater, aber ein guter Indikator für Nachholbedarf.

    Leere Listen zeigen meist, daß nichts getan wurde; übervolle Listen deuten darauf hin, daß alles nur Denkbare in irgendeiner Form niedergeschrieben wurde, um Prozesse zu befriedigen.

    Stichwort: Beinaheunfälle.

    Ich gebe z. B. Sean Brady Recht, wenn er sagt, daß die völlige Abwesenheit von Near Misses auf Vertuschungsmentalität hinweisen kann, während eine sorgfältige Dokumentation eine gesunde Sicherheitskultur indiziert und viele Unfälle von vornherein verhindern könnte.

    Viele sehen Meldungen von Beinaheunfällen bzw. Near Miss Reports als Makel. Dabei stehen sie eher dafür, daß Menschen aktiv am Geschehen teilnehmen und nicht einfach über Wahrnehmungen hinweg gehen.

    In der Realität kann ich nie an alles denken, muß ich aber auch nicht. Ich darf aber auch nicht übersehen, daß die Erfahrungen des Einzelnen sich in den wahrgenommenen Risiken widerspiegeln.

    Ich schätze zum Beispiel die Gefährdung durch herabfallende Lasten wesentlich höher ein als andere, weil ich schon dabei war. Andere werden hibbelig, wenn es darum geht, ob Mitarbeiter auf dem Hof angefahren werden könnten, weil morgens ein Personenunfall mit der Straßenbahn passiert ist.

    Deswegen soll man solche Prozesse auch nicht allein durchführen, sondern im (interdisziplinären) Team, und dann auch einen "Gut genug"-Punkt finden, der dann verschoben wird, wenn sich bis zum nächsten Review neue Erkenntnisse ergeben. Dann komme ich zu einer ausgewogenen und angemessenen Risikoeinschätzung, mit der ich nachhaltiger gestalten kann.

    Und ich kann viel sinnvoller mit Wirkungsketten umgehen, also auch zwischen Auslöser und Ursache unterscheiden und auch zur tatsächlichen Root Cause vordringen.

    Die ideale Dokumentation einer Gefährdungsbeurteilung, ist ein leeres Blatt!

    Dann wäre nämlich das Maximalziel im Arbeitsschutz erreicht, da es keine Gefährdungen gibt.

    Wäre es in diesem Fall nicht wesentlich befriedigender, eine Liste mit den betrachteten Punkten zu haben und jeder Punkt hat dort ein grünes Häkchen?

    "Wir haben das alles sorgfältig betrachtet und alles ist in Ordnung" wäre doch die ultimative Feststellung. (Auch Risikomanagement: "Wir haben dieses Risiko erfolgreich abgewendet!" ist ein toller Erfolg.)

    "Hab nix" hinterließe bei mir immer ein Gefühl von "Was habe ich vergessen?"

    Nachtrag: Typischer Effekt bei der Betrachtung ist dann, Punkte zu ergänzen, "damit mehr Grün da ist". Das halt ich für unehrlich und Selbstbetrug. Und es führt die Betrachtung ad absurdum.

    Gruß

    Thilo

    "...denn bei mir liegen Sie richtig!"

  • Wow, das hat sich jetzt wirklich gut gelesen. Ich kann mich nur meinen Vorrednern anschließen.... die Wahrheit ist in der Mitte. Ich muss nicht alles dokumentieren, was gut und sicher läuft. Ich muss aber oftmals im Vorfeld Situation betrachten, wie z.B. GBU Mutterschutz.

    Ich sage immer: eine GBU ist ein lebendes Dokument. Es muss immer gehegt und gepflegt werden, weil sich immer etwas ändern kann ;)

  • ANZEIGE
  • Ich glaube es geht um etwas Grundsätzliches. Festgemacht an der Dokumentation von Ergebnissen einer GBU, führt die umfangreiche und professionell wirkende Umsetzung zu dem Trugschluss, es wird viel und gut gemacht. Diverse Anbieter etwaiger Softwarelösungen vermitteln auch genau diesen Eindruck. Dies wäre aber am Thema und am Zweck unseres ArbSchG vorbei manövriert. Zwei Aspekte sind mMn zentral: 1. Normative Verantwortung und 2. Kultur.

  • Ja, sehr schön...

    ...aber nicht wirklich was neues, oder?!?!

    Leider, und das ist m.M. bei (fast) allen systemischen Prozeßentwicklungen der Fall,

    - mischen mit der Zeit immer mehr Personen und Funktionen mit, die von der Sache wenig bis keine Ahnung haben,

    - werden neue Geschäftsfelder und Verkaufsprodukte entwickelt und implementiert, ohne einen sachlichen Nutzen zu haben,

    - gewinnt der Konjunktiv in solchen Betrachtungen immer mehr Relevanz, ohne sinnhaft hinterfragt zu werden (da haben wir hier auch einen Spezialisten zu!)

    - traut sich keiner mehr eigene Entscheidungen zu treffen und solche dann auch zu vertreten

    -...

    Hach, ich könnte noch Stunden weitermachen, aber dies sind eben alles Gründe die für mich dazu beigetragen haben, meinen Idealismus und meinem Job an den Nagel zu hängen. Jetzt hab ich zwar 50 - 60 k€ weniger - aber viiiiel mehr Spaß.

    Im diesem Sinne

    Der Michael

    "You'll Clean That Up Before You Leave..." (Culture/ROU/Gangster Class)

  • Wäre es in diesem Fall nicht wesentlich befriedigender, eine Liste mit den betrachteten Punkten zu haben und jeder Punkt hat dort ein grünes Häkchen?

    "Wir haben das alles sorgfältig betrachtet und alles ist in Ordnung" wäre doch die ultimative Feststellung. (Auch Risikomanagement: "Wir haben dieses Risiko erfolgreich abgewendet!" ist ein toller Erfolg.)

    "Hab nix" hinterließe bei mir immer ein Gefühl von "Was habe ich vergessen?"

    Ich vermute, der Autor meint, das "Hab nix" wird ersetzt durch funktionierende und vorzeigbare Prozesse. Im Beispiel mit den schwebenden Lasten würde der Prozess enthalten: Ausbildung Kranfahrer, abgegrenzte Bereiche usw. Im Grunde ähnlich der Gefährdungsbeurteilung, die Maßnahmen quasi als Prozessbeschreibung?

    JS

    Sprichst du noch, oder kommunizierst du schon?

  • Auch ein toller Beitrag!

    Danke!

    Der Originalbeitrag war jetzt mal der Katalysator für meine Gedanken. :)

    Zwei Aspekte sind mMn zentral: 1. Normative Verantwortung und 2. Kultur

    Das sehe ich auch so. Bei Kultur sehe ich als Unteraspekt vor allem das Wollen aller Beteiligten und den Blick auf das gemeinsame Ziel.

    Ein vereinigender Faktor ist dann aber auch die Anleitung und die Entwicklung der Personen.

    Für mich bewährt hat sich folgendes Vorgehen:

    Das Fachgremium erarbeitet Maßstäbe und Musterlösungen bzw. starre Prozeßvorgaben. (P-Stufe)

    Unter Umständen sind das auch bereits vorhandene Good Practices oder Muster von der BG.

    Die werden dann weitergereicht und in Schulungen vermittelt. Dabei ist die Vorgabe, erstmal zu machen und dabei exakt dem Kochbuch zu folgen. (D-Stufe)

    In der C-Stufe wird dann geschaut, wie die Ergebnisse sind, und ggf. der Prozeß angepaßt. (A)

    Hier wird auch das Feedback der Anderen eingearbeitet.

    Mit jedem Durchlauf wird dann auch der Kreis der Mitwirkenden erweitert.

    Insgesamt werden die ausführenden Personen aber sowohl ermutigt als auch in die Lage versetzt, den Prozeß selber zu interpretieren. Die Gleise werden zu Leitplanken, der Spielraum immer größer.

    Damit sind individuelle Anpassungen möglich, ohne den Grundgedanken zu verfälschen oder die Absicht des Prozesses über den Haufen zu werfen.

    Allerdings braucht das sowohl Führung als auch Beratung. Und Indikatoren, wann die Beteiligten wirklich alleine laufen können.

    Die Grundidee habe ich später in Shu-Ha-Ri wiedergefunden. Kein Allheilmittel, aber ein gutes Gedankenmodell, um von der Nachahmung über das Hinterfragen zum selbständigen Wirken zu kommen.

    Und die im Projektmanagement beobachteten Realbeispiele haben für mich gezeigt, daß es funktioniert. Ich habe damals das PMI-Programm für Projektleiter mitgemacht und gesehen, wie das Ganze international auf den Weg gebracht wurde. Außer in Deutschland hat das überall hervorragend geklappt...

    Wenn man die Dokumentation der Sifa-Ausbildung anschaut, steht das im Prinzip auch so drin. Die Sifa wird nachher aber mit dem ganzen Paket alleingelassen und kämpft gegen Kultur und Althergebrachtes.

    Zu den Pflichtanteilen: Auch das ist eine ständige Diskussion.

    Ich mag mich wundern, wieso eine GBU nach MuSchG Pflicht ist, aber die Diskussion ist müßig. Dabei ist es auch egal, ob ich bisher nur männliche Mitarbeiter habe, was sich ja auch schnell ändern kann.

    Sie muß halt gemacht werden, und die Inhalte sind überschaubar.

    Die Energie, die in solche Diskussionen läuft, wäre an anderer Stelle dann wirklich besser eingesetzt.

    Gruß

    Thilo

    "...denn bei mir liegen Sie richtig!"

  • ANZEIGE
  • führt die umfangreiche und professionell wirkende Umsetzung zu dem Trugschluss, es wird viel und gut gemacht.

    Der Teil ist jetzt erst zu mir durchgedrungen.

    Wo kommt das denn her?

    Wenn die BG kommt, läßt die AP sich die GBU zeigen.

    Bei den Audits, egal ob SCC oder sonstwas, wird die GBU angeschaut.

    Nach Unfällen wird geschaut, welches Datum die aktuelle GBU und die Betriebsanweisungen haben.

    Das basiert also alles auf Artefakten, die sich mit wenig Mühe zusammenstoppeln lassen.

    Den eigentlichen BdA-Prozeß zu auditieren, also zu schauen ob sich der Arbeitgeber auch sinnvoll mit dem Thema auseinandergesetzt hat, würde den Rahmen jedes Besuchs sprengen. Also glaubt man dem hübschen Artefakt.

    Genau wie bei ISO9001 sind das aber alles potemkinsche Dörfer. Die Dokumente zählen; ob die Prozesse funktionieren oder gelebt werden, wird gar nicht erst im Detail angeschaut.

    Und an der Stelle wird mit jeder neuen Sifa-Version verlangt, daß sich das ändert. Dabei ist ein Hauptproblem aber schon die Haltung, mit der man da rangeht: Ich brauche das Zertifikat für meinen Kunden oder weil ich irgendwem irgendwas beweisen muß.

    Warum kommen wir nicht an den Punkt, daß wir die Motivation auf "Auch heute geht jeder gesund und munter nach Hause!" bringen?

    Der Rest ergibt sich daraus.

    Gruß

    Thilo

    "...denn bei mir liegen Sie richtig!"

  • Wenn das Motto "Ich komme gesund und gehe gesund" nicht in den Köpfen der Mitarbeiter implementiert ist, bring auch die beste GB rein gar nix.

    Servus, bin zwar keine SiFa sondern arbeite nur in einem Team von Softwerkern im Thema. Aber zunächst: Zustimmung zur Anmerkung von Cristal. Frage mich als Laie : Warum machen nicht die Mitarbeiter die Gefährdungsbeurteilung? Zumindest mal eine Eigeneinschätzung. Dann kann ja immer noch der Experte-SiFa mit allen formalen Wassern gewaschen aktiv reflektieren und daraus ein Audit-fähiges Ergebnis erstellen. (Und für so eine Eigeneinschätzung kann ein Gefährdungskatalog als Gedankenstütze hilfreich sein.)

    Softwerker bei 4ty

  • und wenn dann noch auf den verschiedenen Leitungsebenen ankommt, dass man nicht nur die Leistung seiner MA abrufen soll, sondern auch aktiv dafür sorgen muss, das die MA "gesund kommen und gehen", wäre noch mehr gewonnen.

  • ANZEIGE
  • Warum machen nicht die Mitarbeiter die Gefährdungsbeurteilung?

    Zumindest von einem Unternehmen kenne ich das tatsächlich so. Die haben das in langjähriger Arbeit so gestaltet, daß die Gefährdungsbeurteilung tatsächlich in der Arbeitsvorbereitung läuft. Da ist sie aber schon relativ schlank, also um die von den Führungskräften beschlossenen Maßnahmen entlastet.

    Anders gesagt: Daß Helme und Sicherheitsschuhe getragen werden, ist dann schon gesetzt; weitere Maßnahmen werden von der Arbeitsgruppe geprüft und festgelegt, etwa ein Kraneinsatz oder zusätzliche Absperrungen.

    Das Ganze wird von Sifa und Führungskräften angeleitet, aber nicht mehr durchgeführt.

    Ich selbst möchte das eigentlich auch so anstoßen, schon weil weder die Führungskräfte noch ich auf jeder Baustelle dabei sein können.

    Aber:

    Wenn das Motto "Ich komme gesund und gehe gesund" nicht in den Köpfen der Mitarbeiter implementiert ist, bring auch die beste GB rein gar nix.

    Das ist ein Problem, das mir bei vielen Bauarbeitern und Monteuren begegnet.

    Deren Gefahrenbewußtsein und auch der Selbsterhaltungstrieb sind stark unterentwickelt. Vieles läuft noch über Macho- und Privatheldentum (übrigens unabhängig vom Geschlecht), und Einsicht kommt oft erst, wenn man sie heranwinkt und sie das Geschehen von anderer Position aus anschauen läßt. ("Guck mal von hier. Wie wirkt das auf Dich?")

    Auch bei meinen aktuellen Befragungen wird das "Ich möchte heute Abend gesund mit den Kindern beim Essen sitzen" eher von Führungskräften für die Mitarbeiter formuliert als von den Mitarbeitern für sich selbst.

    Ich habe das früher mal für ein ureigenes Interesse des Menschen gehalten.

    Gruß

    Thilo

    "...denn bei mir liegen Sie richtig!"

  • Ich durfte vor nun fast 10 Jahren in einem komplexen Projektverbund mitwirken. Allerdings Serienfertiger. Dort konnte man (vereinfacht) von den CAD/PLM Daten die für Montage und Service notwendigen Bewegungen ableiten (MTM). Das als Basis für die physische Belastung der Arbeitsschritte, auch für die Produktionsvorbereitung (Sequenzplanung am Band). Aber die Methodik bekommt man halt schlecht in andere Branchen transferiert... So könnte man zumindest im Feld der physischen Belastungen Transparenz schaffen.

    Softwerker bei 4ty

  • Wenn das Motto "Ich komme gesund und gehe gesund" nicht in den Köpfen der Mitarbeiter implementiert ist, bring auch die beste GB rein gar nix.

    Wenn Bankräuber glauben würden, dass sie in den Knast müssen, würden sie keine Banken überfallen....

    Genauso wenig glaubenMenschen die (mehr oder weniger bewusst) unsichere Handlungen vollziehen, dass ihnen dabei etwas zustößt.

    Und: je jünger, desto unsterblicher...

    Außerdem ist das Eingehen von Risiken positiv besetzt:

    "Wer wagt, gewinnt", man muss auch mal was riskieren, um Erfolg zu haben.

    Helden werden Helden, wenn sie hohe Risiken eingehen (und überleben) - und Helden werden bewundert.

    Man kann nicht erwarten, dass alle Menschen denselben Blick auf die Welt haben.

    Wir als Sifas gehen selbstverständlich davon aus, dass alles das, was passieren kann, auch irgendwann passieren wird.

    Damit sind wir aber ziemlich alleine.

    Risikobewusstsein entsteht mit wachsender Lebenserfahrung und eigenen Risikoerfahrungen, nicht dadurch, dass die Sifa einen Gefährdungskatalog erstellt.

    Deshalb geht es nicht m.E. so sehr darum Gefährdungsbeurteilungen zu erstellen, sondern darum, die Arbeitswelt so zu gestalten, dass sie dem Fehlverhalten von Menschen gegenüber tolerant ist, so dass individulle Fehler nicht zu Schadensereignissen führen.

    Wenn wir diesen Grad an Systemsicherheit erreicht haben haben wir auch das, was sich J.S. im Eingangspost wünscht: Ein leeres Blatt als Gefährdungsbeurteilung

  • Die ideale Dokumentation einer Gefährdungsbeurteilung, ist ein leeres Blatt!

    Dann wäre nämlich das Maximalziel im Arbeitsschutz erreicht, da es keine Gefährdungen gibt.

    Gefahren werden ja nicht einfach verschwinden, sondern durch aktives Handeln minimiert. Das sollte man dokumentieren, denn morgen könnte schon eine Person an eine Entscheidungsfunktion kommen, die die bisher durchgeführten Maßnahmen nicht kennt und daher möglicherweise für überflüssig hält.

    Diese vereinfachte Dokumentation griffen dann die Unfallversicherungsträger [UVT] auf und kreierten imposante pauschale Handlungshilfen zum Ankreuzen.

    Ich finde z.B. den GDA-OrgaCheck durchaus als sinnvolles Einstiegsinstrument. Die ganzen Checklisten ermöglichen eine systematische Vorgehensweise, sind aber in der Regel nicht als abschließend zu betrachten.

    Ich muss nicht alles dokumentieren, was gut und sicher läuft.

    In gewissem Rahmen schon, denn es läuft ja oft nicht ohne zuvor erfolgte Handlung gut.

    Warum kommen wir nicht an den Punkt, daß wir die Motivation auf "Auch heute geht jeder gesund und munter nach Hause!" bringen?

    Der Rest ergibt sich daraus.

    Deren Gefahrenbewußtsein und auch der Selbsterhaltungstrieb sind stark unterentwickelt.

    Nette Ideen, aber die Risikowahrnehmung ist oft nicht objektiv genug. Frage doch einfach einmal herum, wie Beschäftigte das Risiko eines Flugzeugabsturzes und die eines Beinbruchs bewerten. Auch der oft heraufbeschworene gesunde Menschenverstand kann ganz schön falsch liegen bei seiner Einschätzung.

    Der Mensch ist auch gerne einmal faul und bequem und da unterlässt man "lästige" Dinge, auch wenn sie zum eigenen Schutz beitragen, denn "bisher ging es ja auch immer gut" denken sich viele, wenn sie entsprechende Handlungen unternehmen.

    Warum machen nicht die Mitarbeiter die Gefährdungsbeurteilung?

    Bei uns wird dies durchaus so gemacht, begleitet von den SiFas.

    Wie ist denn die formale Forderung zur GBU?

    Der Arbeitgeber ist da in der Regel der Normadressat, nur kann der das auch?

    Die SiFa lernt in ihrer Ausbildung das "Handwerkszeug" dazu, bei den üblichen Berufsausbildungen oder Studiengängen ist Arbeitssicherheit und deren Systematiken eher nicht oder nur marginal vorhanden.

    Zur besseren Lesbarkeit verwende ich in meinen Beiträgen das generische Maskulinum. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

  • ANZEIGE
  • Ein leeres Blatt kann es nie geben, da zum Arbeitsschutz auch die Förderung der Gesundheit zählt. Und da kann man immer etwas finden/tun.

    Abgesehen davon entspricht das meiner Erfahrung: Es gibt die einen, die gar nichts machen, die anderen, die zu viel machen. Beide Extreme haben den Arbeitsschutz nicht kapiert. "Zu viel" ist alles, was keine Verbesserung bringt, also z.B. Helmpflicht für Büromitarbeiter wenn sie über den Parkplatz gehen (ja, habe ich erlebt) oder 10-seitige Betriebsanweisungen im Fließtext (auch schon erlebt). Wer es in dieser Weise übertreibt, verspielt die Glaubwürdigkeit und es werden auch die sinnvollen Maßnahmen nicht ernst genommen.

    In der Mitte liegen gute Arbeitsschutzsysteme, die den relevanten Gefährdungen mit adäquaten Maßnahmen begegnen und sich stimmig in die Ablaufe eingliedern. Das ist leider recht selten und ich glaube, das wird künftig auch nicht besser werden.

    Ich sehe bisher nicht, dass die neue Sifa-Ausbildung dazu angetan ist, den Blick für diese Dinge zu schärfen.

    Diese Unsitte, mit Checklisten durch die Betrieb zu rennen, hat mit seriösem Arbeitsschutz auch nichts zu tun. klar, gibt es sinnvolle Checklisten. Aber eine Beurteilung der Arbeitsbedingungen erfordert doch erheblich mehr.

  • Und noch ein Gedanke zur Qualität der Beurteilung der Arbeitsbedingungen:

    Das ArbSchG definiert in §5 die Mindestinhalte:

    (3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch

    1.die Gestaltung und die Einrichtung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes,
    2.physikalische, chemische und biologische Einwirkungen,
    3.die Gestaltung, die Auswahl und den Einsatz von Arbeitsmitteln, insbesondere von Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anlagen sowie den Umgang damit,
    4.die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken,
    5.unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten,
    6.psychische Belastungen bei der Arbeit.

    Die Punkte 1. -6. müssen abgeklopft werden.

  • Das Ziel im Arbeitsschutz ist es, die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz zu sichern, indem Maßnahmen ergriffen werden, um Unfälle, Berufskrankheiten und Gesundheitsrisiken zu verhindern.