Stehhilfe anstelle von Stühlen?

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  • Hallo,

    in unserer Montageabteilung wird an kleineren Anlagen aus verschiedenen Bauteilen das fertige Produkt zusammengabaut. Diese Anlagen werden von Bedienern betreut, die die verschiedenen Vorratsbehälter auffüllen müssen, fertige Teile in Boxen verpacken, Dokumentieren, kleinere Störungen und Materialstaus beheben etc. Ergonomisch alles nach LMM-Methode bewertet und i.O. Jetzt kam aber die Betriebsleitung auf die Idee, den Leuten die Stühle wegzunehmen und sog. Stehhilfen an die Anlagen zu stellen. Dabei wird argumentiert, dass es sich hierbei eher um einen Steharbeitsplatz handele und es würde ja nirgendwo stehen, dass man einen Stuhl am Arbeitsplatz bereitstellen muss. Meine Argumentation bezüglich Ergonomie, Gesundheit, Mitarbeiterzufriedenheit ist dabei leider wirkungslos verpufft.

    Jetzt zu meiner Frage: Gibt es denn irgendwo ein Gesetz -BGR- BGI - BGIrgendwas, in der ein solcher Stuhl eindeutig gefordert wird? Also richtig mit "muss", nicht mit "könnte und sollte".

    Danke und schönes Wochenende

    8) Mikey

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  • Hallo,

    siehe §3a ArbStättV.

    Stephan

    --- Wer schreit hört auf zu denken. --- Manche Dinge erledigen sich von selbst, wenn man ihnen genug Zeit gibt. --- Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein. A.E. ---

  • Wechsel der Körperhaltung
    Ein Steh-Sitz ist physiologisch betrachtet eine hervorragende Möglichkeit, im offenen Sitzwinkel zu arbeiten. Der offene Sitzwinkel provoziert eher eine aufrechte Körperhaltung (physiologische Haltung der Wirbelsäule und Beckenkippung), als ein 90°-Winkel-Stuhl.

    Beim Sitz-Stehstuhl muss genau geschaut werden. Vielleicht "erkauft" man sich andere Risiken oder verstärkt Vorhandene:

    * Dynamisches Sitzen möglich?
    Die Regelwerke sprechen davon, das die beschäftigte Person eine "ergonomisch günstige Körperhaltung" einnehmen können muss. Dies findest Du beispielsweise analog zum beschriebenen Fall in der Bildschirmarbeitsverordnung (Anhang) und in der DGUV 101 Mensch und Arbeit.
    Die Anforderung an eine ergonomisch günstige Körperhaltung beinhaltet, dass der Rücken in der hinteren Sitzposition gestützt werden muss. Der Stuhl muss einen Bewegungswechsel (Dynamisches Sitzen) unterstützen. Längst weiss man hier um die arbeitsmedizinischen und -wissenschaftlichen Zusammenhänge von Versorgung der Zellen mit Energie, Abbau von Stresshormonen und Mobilisierung des Muskelsystems zur Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen. Mit positiver Auswirkung auf die verbesserte Leistungsbereitschaft (Konzentrationsfähigkeit, Reaktionsvermögen, Widerstandsfähigkeit)

    * Sitz stabil - ausreichend groß?
    Zudem muss die Sitzfläche ausreichend groß sein, um ein sicheres, nicht nachrutschendes Sitzen zu ermöglichen. Auch die Kleidungsfrage spielt dann eine Rolle (Kleidung aus rutschigem glatten Stoff...ohje)

    * Arbeitshöhe angepasst?
    Der besondere Anspruch liegt dabei jedoch eher in der Arbeitshöhe. Wird ein Steh-Sitz verwendet, so kommt er (bis auf wenige Ausnahmen, z. B. Muvman Factory von Aeris) selten auf die Sitzarbeitshöhe von ca. 52 cm, sondern ist deutlich höher.
    Ist die Steh-Sitzhilfe im Einsatz, ist sicher zu stellen, dass dann die Arbeitsfläche in der Höhe angepasst wird.

    Hildegard Schmidt

    Ergonomiecampus

  • Bewertung: Sitzstehhilfe und/oder Bürodrehstuhl ... Die nachstehenden Ziele sollten mit der Wahl des Arbeitsmittels erreicht werden.

    Ziel ist,
    - ohne hochgezogene Schultern,
    - mit entspannten gelenken und
    - aufrechtem Rücken
    - bei einer Neigung der Halswirbelsäule von max. 10° nach unten und
    - auf dynamische Weise
    Sitzen zu können.
    Grafik:... ohne Stuhl geht´s nur kurze Zeit gut

    Hildegard Schmidt

    Ergonomiecampus

  • ....ganz wichtig und fast immer vergessen:

    Ausprobieren lassen!

    Der Händler des Vertrauens liefert die Dinger gerne zur Probe. Deine Leute probieren aus und geben ein feedback. Bei Zufriedenheit bleibt der "gute" Stuhl in der Firma.

    (und alle sind zufrieden.)

    .
    .
    .
    ... viele Grüße vom Waldmann.


    "Et kütt, wie et kütt."
    (kölsche Zuversicht)

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  • ....ganz wichtig und fast immer vergessen:

    Ausprobieren lassen!

    Dann mit einer "Pilotgruppe" an Freiwilligen, oder die komplette betroffene Gruppe? @Waldmann

    In wie weit kann man auf solchen Sitz-Steh-Hilfen wirklich dynamisch sitzen? @Hildegard Schmidt ...zumindest das hintere Sitzen stelle ich mir da ohne Rückenlehne schwierig vor.

    "Kleine Taten, die man ausführt, sind besser als große, die man plant." (Georges Marshall)

  • ... ich kann hier Waldmann nur beipflichten. Wir hatten vor einiger Zeit ebenfalls Sitz-/Stehhilfen eingeführt, um den Kollegen mit entsprechenden Arbeitsplätzen die Arbeitsbedingungen zu erleichtern. Nachdem die Möbel (inklusive höhenverstellbare Tische) angeschafft waren, wurden sie mäßig benutzt. Das wurde zunächst damit erklärt, dass sich die Kollegen an die neuen Sitz-/Stehhaltungen erst gewöhnen müssten. Nach nunmehr knapp einem Jahr nutzt NIEMAND diese Verstellmöglichkeiten, sondern arbeitet wieder im Sitzen oder gebückt.
    Einfach schade! Es echt ein Krampf war, die Geschäftsleitung zum Erwerb zu überreden.

    §328 StGB: "Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, ... wer
    eine nukleare Explosion verursacht..."

  • Hallo Zusammen,

    die Erfahrungen von Kronosom kann ich nur bestätigen. Wir haben unsere Büro und Montageplätze vor zwei Jahren auch nach dem Lean TPS (Toyota Produktions System) ergonomisch umgestellt.
    Es wurden auch hochwertige Stehhilfen und höhenverstellbare Montagetische beschafft.
    Am Anfang waren alle Mitarbeiter begeistert jetzt nach zwei Jahren werden diese Ergonomischen Arbeitsplätze nur noch im Bürobereich erfolgreich und mit Begeisterung genutzt. Im Montagebereich werden sie gar nicht mehr oder selten genutzt. Alle Montagemitarbeiter sitzen wieder, lediglich die Tischhöhe wird manchmal angepasst.
    Alle Überzeugungsarbeit seitens der Geschäftsführung BA und meiner Wenigkeit sind für die Katz. Die Mitarbeiter sagen das ihre Beine und auch ihr Rücken schmerzten vom Stehen da können wir machen was wir wollen. Vielleicht legt es auch daran das die Mitarbeiter sehr viel feinfühlige Montagearbeiten durchführen? Wir sind noch weiter am forschen woran es liegen kann. Bei den Büroarbeitsplatzen klappt es ja auch super.

    Mit freundlichen Grüssen aus Braunschweig!

    Hans-Jürgen

  • Hallo Waldmann und Hans-Jürgen!
    Die Ursachen für die unterschiedliche Wahrnehmung (Büro: Super; Montage: Beschwerden) und letztlich wieder der Verfall in alte (schlechte) Gewohnheiten könnte ein Zeichen für Stellvertreterprobleme sein.

    Die ergonomischere Sitzdynamik und "Sitz-Steh-Lösung" wird nicht aktzeptiert, weil die eigentlichen Probleme im Arbeitsbereich nicht gelöst sind. Letztere sind nicht sichtbar (werden nicht ans Tageslicht gebracht). Somit sucht der Mensch eine direkt sichtbare Projektionsfläche, an der er seine körperlichen und psychischen Probleme festmachen kann. In diesem Fall könnte es das Angebot zum Sitzen:Stehen:Stützen sein.

    Klasse, dass Ihr nicht den Mut verliert und weiter forscht: Was macht den Unterschied in beiden Arbeitsbereichen aus? oder Warum die unterschiedliche Akzeptanz? Physiologisch ist die Lösung ja hinreichend arbeitsmedizinisch und -wissenschaftlich als nützlich bewiesen worden...

    Hildegard Schmidt

    Ergonomiecampus

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  • Hi,

    Danke für eure Tipps zur Ergonomie. Leider ist es hier aber so, dass die Stehhilfen nicht angeschafft wurden, um den Mitarbeitern was Gutes zu tun, sondern da man der Auffassung ist, das in der Produktion zu viel sinnlos rumgesessen wird. Schade, aber leider ist das so. Dementsprechend brauche ich (zumindest zur Zeit) nicht mit ergonomischen Grundsätzen oder Mitarbeiterzufriedenheit kommen. Das die Mitarbeiter die Stehhilfen ablehen, steht jetzt schon fest, nicht zuletzt deswegen sind sie ja zu mir gekommen.
    Doofe Situation, aber mir scheint, da ist erstmal nix dran zu ändern.

    Grüße
    Mikey