Betriebliches Eingliederungsmanagement vs. Datenschutz

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  • Auf meinem Schreibtisch ist ein Fall gelandet, der ein wenig schwierig ist... Das ist erst einmal der Fall:

    Eine Mitarbeiterin, die eine rein sitzende Bürotätigkeit mit PC und Telefon ausgeübt hat (vgl. Callcenter) hat wegen einer Adipositas Permagna und einer Knietotalendprothese, also wegen schwersten Übergwichts und einem künstlichen Kniegelenk einen Grad der Behinderung von 30. Sie hat keinen Gleichstellungsantrag gestellt und genießt keinen besonderen Kündigungsschutz.

    Seit 2013 ist die Mitarbeiterin ununterbrochen arbeitsunfähig, sie bezieht inzwischen eine vorläufige Rente in voller Höhe wegen Erwerbsunfähigkeit. Diese Rente ist bis 2018 befristet, d. h. es ist nach augenblicklichem Stand von einer AU von mindestens 54 Monaten auszugehen.

    Im Jahre 2015 wurde eine Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell versucht, diese wurde auf ärztliche Anweisung nach zwei Wochen, also in der ersten Stufe abgebrochen.

    Mitte 2016 wurde der Mitarbeiterin gekündigt, da eine Weitereingliederung auch in der Zukunft unmöglich erscheint.

    Eine Kündigungsschutzklage hatte Erfolg, da die ersten beiden Stufen einer Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer aus Anlass einer Krankheit ausgesprochenen Kündigung erfolgt seien, die dritte im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes jedoch nicht.

    Das Gericht bemängelte das Fehlen des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Die Geschäftsführung war bisher aber der Meinung, diese unter Berücksichtigung des Datenschutzes durchgeführt zu haben. Und hier liegt wohl die Klippe: Außer den drei Worten 'Adipositas Permagna' und 'Knietotalendprothese' ist über die Diagnose und den Gesundheitszustand dem Unternehmer nichts bekannt. Lediglich die Krankenkasse, der MDK und die Rentenversicherung haben weitere Informationen.

    Laut Gerichtsurteil stellt die Belastungserprobung kein BEM dar, es sei eben nur eine mögliche Maßnahme im Rahmen eines BEMs.

    Und nun? Wie kann vorgegangen werden, um die Mitarbeiterin zu kündigen? Diese Kündigung soll im Grunde nur die bestehenden Fakten mit den Unterlagen in Einklang bringen. Die Mitarbeiterin verursacht keine Kosten, wenn sie dauerhaft arbeitsunfähig bleibt, wenn sie wieder gesund würde, könnte und würde sie auch eingesetzt werden.

    Die Kündigungsschutzklage zielt nach Äußerungen der Mitarbeiterin wohl auf eine Vergütung des nicht gewährten Urlaubs ab, soweit der Anspruch nicht verfallen ist.

    Nachdem die Mitarbeiterin aber de facto seit rund 40 Monaten nicht mehr zur Verfügung steht, möchte dies die Geschäftsleitung aus sicher nachvollziehbaren Gründen nicht zahlen. Die Mitarbeiterin darf etwas kosten, wenn sie dem Unternehmen nützt, also wieder für das Unternehmen arbeiten kann, das ist aber nach aktuellem Kenntnisstand auch in Zukunft nicht zu erwarten.

    Tja, wie kann und soll nun vorgegangen werden? Wie kann man die Anforderungen des BEM umsetzen, ohne mit dem Datenschutz zu kollidieren? Dabei ist das sagen wir mal nicht übermäßig kooperative Verhalten der Mitarbeiterin zu berücksichtigen.

    Was meint Ihr? Hattet Ihr schon mit ähnlichen Fällen zu tun und wie habt Ihr das Problem gelöst?


    Gruß Michael

    SiFaFa weil ich zwei BG-spezifische Blöcke erfolgreich absolviert habe.

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  • hast ne pn

    Das ist schön für Micherheit, jedoch wäre es auch für andere Leser interessant. Auch wir hatten gestern das Thema BEM und denken das es in letzter Zeit nicht richtig durchgeführt wurde.

    --- Wer schreit hört auf zu denken. --- Manche Dinge erledigen sich von selbst, wenn man ihnen genug Zeit gibt. --- Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein. A.E. ---

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  • Das ist schön für Micherheit, jedoch wäre es auch für andere Leser interessant. Auch wir hatten gestern das Thema BEM und denken das es in letzter Zeit nicht richtig durchgeführt wurde.

    Heißer Tipp: Die Integrationsämter bieten Seminare zum BEM an. Hier ist aber in erster Linie betriebliche Interessensvertretung und sofern vorhanden die Schwerbehindertenvertretung gefragt.
    Nichtdestotrotz macht ein vernünftig durchgeführtes BEM auch für die Arbeitssicherheit Sinn. Gesundheitsbeeinträchtigende Probleme, auch für andere nicht direkt betroffene Beschäftigte können gerade im BEM aufgedeckt werden. Auch bei der Lösungssuche kann die Sifa ein wichtiger Partner sein.

    Ich selbst bin Sifa, Schwerbehindertenvertreter und als Mitglied der MAV für das BEM benannt, habe also Erfahrung mit dem BEM.
    Die erste Frage ist: Habt Ihr eine Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung zum BEM.

    Hardy

    Multiple exclamation marks are true sign of a diseased mind.
    (Terry Pratchett)
    Too old to die young (Grachmusikoff)

  • Das Gericht bemängelte das Fehlen des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Die Geschäftsführung war bisher aber der Meinung, diese unter Berücksichtigung des Datenschutzes durchgeführt zu haben. Und hier liegt wohl die Klippe: Außer den drei Worten 'Adipositas Permagna' und 'Knietotalendprothese' ist über die Diagnose und den Gesundheitszustand dem Unternehmer nichts bekannt. Lediglich die Krankenkasse, der MDK und die Rentenversicherung haben weitere Informationen.

    Laut Gerichtsurteil stellt die Belastungserprobung kein BEM dar, es sei eben nur eine mögliche Maßnahme im Rahmen eines BEMs.

    Hi,

    die Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell ist tatsächlich kein BEM sondern eine Maßnahme im Rahmen des BEM.

    Das Fehlen eines BEM wirkt sich in aller Regel so aus wie oben beschrieben. Die Arbeitsgerichte sehen es als absolut erforderlich an, dass ein BEM durchgeführt wurde, wenn eine personenbedingte (krankheitsbedingte) Kündigung ausgesprochen wird.

    Allerdings ist Sinn und Zweck des BEM nicht die Kündigung, sondern so wie im § 84.2 SGB IX beschrieben der Erhalt des Arbeitsplatzes.

    https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/sgb_9/gesamt.pdf

    Zum Datenschutz: Die BEM-Akte ist tatsächlich fern der Personalakte, am besten in einem verschlossenen Schrank zu dem nur die Beauftragten des Arbeitgebers und der betrieblichen Interessensvertretung Zugang haben, aufzubewahren und nach zwei bis drei Jahren zu vernichten (am besten per DV, bzw BV festlegen).
    In die Personalakte darf nur ein Hinweis auf ein durchgeführtes BEM-Verfahren und ob es erfolgreich war.

    Als MAVler und Schwerbehindertenvertreter würde ich der Mitarbeiterin dringend empfehlen die Gleichstellung wegen bereits ausgesprochener Kündigung zu beantragen.

    Aber das möchtest Du ja nicht, Du würdest sie ja gerne, so wie ich das verstehe gekündigt sehen. Dann sollte am Ende der befristeten Erwerbsunfähigkeit ein BEM-Verfahren durchgeführt werden. Aber ergebnisoffen, sonst hat das vor Gericht sicher keinen Bestand.
    In erster Linie muss dabei geprüft werden, ob eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes eine Weiterbeschäftigung ermöglicht. Auch hier ist die Gleichstellung von Nutzen, da dann finanzielle Hilfe bei der Fachstelle für schwerbehinderte Menschen beantragt werden können. Die DRV wäre ein weiterer Ansprechpartner.
    Auch so etwas gibt es für Schwerbehinderte und Gleichgestellte:

    https://www.integrationsaemter.de/Fachlexikon/Au…8i1p/index.html

    Ist das nicht möglich ist eine Umsetzung, auch mit finanziellen Einbußen für die Mitarbeiterin zu prüfen.
    Führt auch das nicht zum Ziel käme eine erneute Kündigung in Frage, ist sie bis dahin gleichgestellt, muss die Kündigung beim zuständigen Integrationsamt beantragt werden.

    Und sollte es keine Vereinbarung zum BEM geben, rate ich die gesetzliche Forderung nach og. Paragraph in einer DV, bzw. BV festzuschreiben. Mustervereinbarungen gibt es genügend im Netz oder bei den Integrationsämtern, die auf den speziellen Betrieb angepasst werden können.

    Weitere Fragen bitte per PN, das ist kein Thema dem eine öffentliche Diskussion zuträglich ist.

    Hardy

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