Psychische Belastungen mal anders

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  • Moin,

    Ausgangssituation. Großes Open-Air mit Zuschauern deutlich im fünfstelligen Bereich. Der Einlass erfolgt durch ein Schleusensystem, an dem eine Einlasskontrolle mittels Handscanner für die Tickets vorgenommen wird. Im Idealfall macht der Scanner "Piiiiiep" und der Kunde kann rein. Macht der Scanner "Möööööhp" wird der Kunde gebeten, sich an die Clearingstelle zu wenden, die sich ein paar Meter nebem den Schleusen befindet. In dieser Clearingstelle kann überprüft werden, warum das Ticket nicht gültig ist.

    Mögliche Szenarien:
    Das Drama
    Das Ticket wurde nicht bezahlt und storniert. Das junge Pärchen steht vor der Clearingstelle. Sie schreit ihn tränenüberströmt an "Du Arsch, Du hattest mir versprochen, die Tickets zu bezahlen". Sie droht, ihn zu verlassen, wenn er den Einlass nicht organisiert. Jetzt steht er erregt und konsterniert vor der Clearingstelle und bettelt um Einlass für sich und seine (Noch)-Freundin. Er hat nur die Wahl zwischen Bezahlen=Ticket oder nach Hause gehen und sein Leben als Single zu fristen.

    Der Bemitleidenswerte
    Papa hat die Tickets zu Hause vergessen. Mama und die Kinder ergehen sich in wüsten Beschimpfungen über ihr Familienoberhaupt, das leider die Tickets nochmal bezahlen muss, um eingelassen zu werden. Leider hat Papa nicht genug Geld einstecken. Die Kinder fangen an zu weinen, die Beschimpfungen seiner Hydra steigern die Dezibelzahl im Einlassbereich beträchtlich. Man möchte den Ärmsten am liebsten in den Arm nehmen und trösten, aber ohne Ticket leider kein Einlass. Man ist versucht, den Kindern ein Eis zu spendieren, aber woher nehmen?

    Der Pechvogel
    Er hat sich bei ebay ein günstiges Ticket geschossen, das auf dem Farbkopierer des Verkäufers wirklich gut geworden ist. Leider hat der Handscanner etwas gegen Kopien. Nochmals zahlen oder nach Hause gehen.

    Der Prolet
    Nachdem er mächtig mit Alkoholika vorgeglüht hat und an der Schleuse wegen seines Tickets abgewiesen wurde, kommt er bestens gelaunt bei der Clearingstelle an und begrüßt die dort tätige Dame mit einem freundlichen: "Was soll der Scheiß?" Nachdem er aufgeklärt wurde, dass seine Lastschrift mangels Kontodeckung geplatzt ist, weshalb seinem Hals nun beinahe das gleiche Schicksal droht, steigt seine gute Laune ins Unermessliche. Als er versucht die Dame der Clearingstelle am Kragen zu packen, zieht in die Security weg.

    Der Superschlaue
    Er hat gar kein Ticket und wird an der Schleuse abgewiesen. Bei der Clearingstelle zeigt er sich sehr erbost darüber, dass man ihn offensichtlich nicht zu kennen scheint. Er sei doch

    [ ] der Minister XYZ

    [ ] der Fahrer des Ministers XYZ

    [ ] der Verantwortliche des Tour-Merchandising (für a.r.ni = Werbeverkauf während der terminlich aneinandergereihten Auftritte innerhalb eines fest definierten Zeitraums)

    [ ] einfach nur wichtig

    (Zutreffendes bitte ankreuzen)

    Während er seine Tirade vom Stapel lässt und sich nicht abweisen lässt, beginnen in der mittlerweile fünf Meter langen Schlange hinter ihm die Unmutsäußerungen. Man habe zu wenig Clearingstellen, was die Tussi in dem Container eigentlich mache, man habe nicht den ganzen Tag Zeit usw. usw.

    Man kann sich nun vorstellen, unter welchem psychischen Druck die dort eingesetzten Beschäftigten stehen. Zusätzlich zu der eigentlichen Arbeit hat man Kundschaft, die per se unzufrieden ist, da sie nicht eingelassen wird. Dazu kommt noch ein Grundgeräuschpegel von mehreren Zehntausend Menschen und die Musik, die gefühlte 25 Stunden am Tag das Open-Air beschallt. Nun zu meiner Frage:

    Für Überfälle in Kassenbereichen habe ich mehr als genug Unterlagen und Unterweisungsvorlagen. Darum geht es aber primär nicht. Eher um eine Art Handlungsanweisung zur Deeskalation und auch eine Handlungsanweisung zur klaren Ansage "Entweder Du bezahlst jetzt oder Du kommst nicht rein". Vielleicht hat irgendjemand ja schon einmal ein ähnlich gelagertes Problem gehabt und hat evtl. so eine Art Unterweisung schon einmal durchgeführt.

    Den Personenkreis haben wir schon sehr bewusst ausgewählt. Es handelt sich um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bei denen nicht zu befürchten steht, dass sie beim ersten Konflikt in Tränen ausbrechen oder die Kunden anschreien. Security ist immer in nächster Nähe. Ein Zutritt der Kunden in die Clearingstelle ist nicht möglich (Kassencontainer). Ich hoffe ich konnte genug Infos liefern, dass man sich das Szenario und den Druck unter dem die Personen stehen, vorstellen kann.

    Gruß guudsje

    Ich stelle die Schuhe nur hin. Ich ziehe sie niemandem an.

    Einmal editiert, zuletzt von Guudsje (7. Mai 2014 um 13:50)

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  • Hallo guudsje.

    Eine sehr gelungene Darstellung :thumbup::thumbup::thumbup:
    Eine Unterweisung wird in diesem Bereich wohl eher nicht ausreichen. Hierfür gibt es spezielle Schulungen und auch Trainer, die solche durchführen. Hier werden genau solche Situationen in Rollenspielen angegangen und analysiert. Ich würde es mir zumindest nicht zutrauen, solch eine "Unterweisung" wirklich kompetent durchzuführen. Ich gehe davon aus, dass das Personal über die VBG versichert ist. Ich würde dort mal anfragen, ob die entsprechende Trainings in der Fa. anbieten. Die kennen sich dann auch damit aus. Das sind meistens Psychologen und können da auch wirklich kompetent beraten. Vllt können die auch dem AG einen Tipp geben, welche Personen sie dafür nicht sonderlich für geeignet halten (falls Ihr doch mal eine Fehleinschätzung vorgenommen habt).

    Gruß

    Jens

    "... das kannste schon so machen aber dann ist es halt kacke!"

    "Wenn das die Lösung ist, dann will ich mein Problem zurück!" (Rockband Haudegen)

  • Hallo,
    es gibt noch ein Szenario:
    Der Glückliche: Nach dem er zu Hause Kaffee über die Tickets geleert hat, weist ihn der Scanner ab, was einen Gang zur Clearingstelle nach sich zieht. Die freundliche Dame wischt mit einem feuchten Tempo über die karte und das ganze funktioniert wieder. Die Sonne geht auf und alle sind glücklich.

    Nichtsdestotrotz bin auch ich der Meinung, dass hier eine Unterweisung nicht ausreicht. Hier ist bei der Auswahl der Mitarbeiter auf Erfahrung, gute Umgangsformen, Souveränität und eine psychologische Grundausbildung zu achten, bzw. wäre vorteilhaft.

    Gruß Holgi

    Kein Mensch ist so beschäftigt, dass er nicht die Zeit hat, überall zu erzählen, wie beschäftigt er ist. (R. Lemke)

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  • Nichtsdestotrotz bin auch ich der Meinung, dass hier eine Unterweisung nicht ausreicht. Hier ist bei der Auswahl der Mitarbeiter auf Erfahrung, gute Umgangsformen, Souveränität und eine psychologische Grundausbildung zu achten, bzw. wäre vorteilhaft.


    Super! Kann ich nur zustimmen :thumbup:
    Ich werde auch nie die Aussage eines Securitys beim Aufbau eines Rammsten-Konzerts vergessen:
    "RAMMS+EIN? Völlig harmlos!!! Alle Altersgruppen vorhanden und Pogen gibts da nicht, um die Show nicht zu verpassen! Erleb mal Tokyo-Hotel und andere Boygroups... das is richtig stressig!"

    Beste Grüße :thumbup:

    Jens

    "... das kannste schon so machen aber dann ist es halt kacke!"

    "Wenn das die Lösung ist, dann will ich mein Problem zurück!" (Rockband Haudegen)

  • Hallo,

    schade. Ich dachte, dass ein solch ausgefallenes Thema mehr "Leser" anzieht und Antworten bringt. Da die Veranstaltung "kurz vor der Tür" steht, ist für ein richtiges "Seminar" leider keine Zeit und jede Person muss auch nur einen Einsatz von einigen Stunden vorgesehen, und es wird für diese Personen wahrscheinlich das einzige mal in ihrem ganzen Berufsleben sein, dass sie in eine solche Situation kommen.

    Wir haben es jetzt so gelöst, dass der Ticketdienstleister, der das Geschäft seit Jahren von der Front kennt und auch schon alle möglichen und unmöglichen Situationen an den Clearingstellen miterlebt hat, ein Briefing durchführt. Ich werde berichten wie es gelaufen ist.

    Gruß Frank

    Ich stelle die Schuhe nur hin. Ich ziehe sie niemandem an.

  • Hallo Frank,

    dann gutes Gelingen und viel Erfolg.

    Unsere Veranstaltungen sind eher klein und da funktioniert das "Kartenabreissen" noch.
    Ergo: Keine pers. Erfahrungen von mir.

    (Die andere Seite vom Zaun, also die Zuschauerseite, kennt jeder.)

    .
    .
    .
    ... viele Grüße vom Waldmann.


    "Et kütt, wie et kütt."
    (kölsche Zuversicht)

  • Hallo Guudsje,

    ich verstehe dein Problem. Aber ich denke ein Handlungskatalog von ein anderen zu bekommen ist schwierig (die anderen werden bestimmt einiges an Zeit und Geld investiert haben).

    Ein fremden Handlungskatalog zu übernehmen wird auch nicht in dein Sinne sein. Er muß überarbeitet, angepaßt evtl.ergänzt werden... Ob das soviel spart?

    Hast du schon mal an kleine Teams gedacht, die auf solche Situationen reagieren können. z.B. Ein 3-Mann Team, der Teamsprecher ist entsprechend rethorisch darauf, daß er solche Situation lösen. Man könnte dem Teamsprecher noch ein klein bißchen mehr Handlungsspielraum geben...

    Vorteil: Die Belastung der Mitarbeiter mit den Handscannern könnte reduziert werden... In problematischen Situationen greifen die "Spezialisten".

    Die Spezialisten könnte man extra auf bestimmte Situationen schulen und ggf. könnte man den Mitarbeiter auch eine arteSupervision anbieten...

    Ich glaube eine kurzfristige Lösung kann ich dir nicht anbieten. Aber wenn wir ein bißchen "Brainstorming" für die Zukunft machen sollen... Melde dich einfach!

    Gruß

    Einmal

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  • Moin,

    kurze Zwischennachricht: Es hat besser funktioniert als gedacht. Unsere Jungs und Mädels sind bestimmend aber vor allem freundlich, was beim Publikum gut ankommt. :thumbup: Keinerlei Zwischenfälle bislang zu verzeichnen.

    Gruß Frank

    Ich stelle die Schuhe nur hin. Ich ziehe sie niemandem an.

  • Grüß Dich,

    Keinerlei Zwischenfälle bislang zu verzeichnen.

    ich gratuliere :thumbup:
    Meine Eltern waren mehrmals beim Hessentag, haben aber nicht die Veranstaltungen, die Eintrittskarten benötigen, besucht.
    Ich konnte mich nach meiner "Südtournée" nicht aufraffen, am 7. oder 8. Juni nach Bensheim zu fahren ... ;(
    Der Hessentag hat einen gänzlich anderen Charakter als bspw. der Niedersachsentag (der findet nächstes Jahr in Hildesheim statt und ich hoffe, dass ich als Aussteller für den VDS dabei bin); bei den Niedersachsen dauert es nicht so lange, Parteien spielen keine Rolle und es finden keine hochkarätigen Konzerte statt (naja, Joy Fleming oder die singende Beileidskarte sortiere ich mit viel gutem Willen dort ein :D ).

    "Mit zunehmendem Abstand zum Problem wächst die Toleranz." (Simone Solga)
    "Toleranz ist das unbehagliche Gefühl, der andere könnte am Ende doch recht haben." (Robert Lee Frost)
    "Geben Sie mir sechs Zeilen von der Hand des ehrenwertesten Mannes - und ich werde etwas darin finden, um ihn zu hängen." (Kardinal Richelieu)
    "Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse" (Antoine de Saint-Exupéry)

    "Wie kann ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?" (Edward Morgan Forster)

  • Moin,

    der Tag danach :thumbup: Es ist vollbracht. Direkt nach dem letzten Konzert begannen die fleißigen Ameisen auszuschwärmen. Die Rigger und Bühnenbauer nehmen sich der Monsterbühne an, um sie zu planieren. Jeder will nach Hause. Da ist es nicht verwunderlich, dass aus Zeitersparnisgründen das Gurtzeug mal nicht angelegt wird. :whistling: Außerdem habe ich "gelernt", dass ein Gerüstbauer durch diese PSA nur "behindert" wird und alles viiiiel zu lange dauert mit diesen "Gedöns". :thumbdown:

    Gruß Frank

    Ich stelle die Schuhe nur hin. Ich ziehe sie niemandem an.

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