Kein Gefahrstoff aber Sicherheitsdatenblatt

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  • Hallo ihr SDB-Experten,
    ich aktualisiere gerade unser Gefahrstoffkataster. Am Beispiel "Harnstoff kristallin" verzweifle ich gerade etwas, denn
    laut Einstufung des Gemisches ist Harnstoff nicht als gefährlich eingestuft.

    Folglich gibt es auch keine GHS Kennzeichnungspiktogramme. Soweit gut.

    ABER:

    Es gibt Erste-Hilfe-Maßnahmen ?!?
    Hautkontakt: Kontaminierte Kleidungsstücke sofort ausziehen und Haut mit Wasser spülen
    Verschlucken: Wasser trinken und ggf. Arzt konsultieren.
    ...

    Jetzt frag ich mich, wenn es kein Gefahrstoff ist, aber Erste-Hilfe Maßnahmen beschrieben werden, warum sind die nicht nach GHS - Standard nach H- und P- Sätzen beschrieben?

    Wer sagt mir welche Logik dahinter steckt?
    Danke!

    Gruß Frank

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  • Du wirst lachen, es gibt sogar viele Hautpflegeprodukte, die Harnstoff enthalten.
    Aber auch hier gilt der Spruch von Paracelsus: Erst die Dosis macht das Gift.

    Ich halte es so: Ich stelle mittels GBU die tatsächliche Gefährdung dar. Bei geringer Gefährdung spare ich mir die BA.
    Insofern müsstest Du hier darstellen, was Du mit dem Harnstoff machst und welche Mengen Du verarbeitest.
    Schüttest Du das Zeug in den LKW?

    Hardy

    Multiple exclamation marks are true sign of a diseased mind.
    (Terry Pratchett)
    Too old to die young (Grachmusikoff)


  • ...Jetzt frag ich mich, wenn es kein Gefahrstoff ist, aber Erste-Hilfe Maßnahmen beschrieben werden, warum sind die nicht nach GHS - Standard nach H- und P- Sätzen beschrieben?...

    Es gibt keine Vorgabe, dass die Erste Hilfe Maßnahmen nach GHS beschrieben sein müssen. Wäre auch unlogisch, da die formalen Sätze nur eingeschränkte Maßnahmen ermöglichen. Nur die Angabe von allgemeinen Erste Hilfe Maßnahmen bewirkt nicht, dass man für den Stoff eine Betriebsanweisung erstellen muss.

    Harnstoff sehe ich primär als relativ unkritisch, vergleichbar mit Kochsalz an.
    Den allgemeinen Staubgrenzwert sollte man auch bei Harnstoff einhalten, sofern mit größeren Mengen offen umgegangen wird. Wobei Harnstoff als gut löslich gilt und der Staubgrenzwert hier nur orientierende Bedeutung hat. Im SDB ist ja auch ein DNEL genannt. Sofern dieser eingehalten wird, sehe ich keine besonderen Probleme im Bereich der inhalativen Gefährdung.

    Durch die hygroskopische Wirkung dürfte man leicht in den alkalischen Bereich um pH 9 kommen, was auf die Haut bei längerem Kontakt reizend sein kann. Bei Zersetzung bildet sich Ammoniak, welches deutlich kritischer zu sehen ist. Sofern der Harnstoff also z.B. unter Hitze oder im alkalischen Bereich eingesetzt wird, dürfte die Ammoniakentwicklung hier relevant werden.

    Zur besseren Lesbarkeit verwende ich in meinen Beiträgen das generische Maskulinum. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

  • Aber es ist auffällig, daß Stoffe, die kein Gefahrstoff sind auch automatisch keine H- und P-Sätze haben. Und das ist bestimmt nichts so, daß diese Stoffe jetzt so außergewöhnliche Maßnahmen hätten, die nicht mit H-/P-Sätzen darstellbar wären.

    OK. Es gibt wohl keine Logik. Mir ist das nur aufgefallen, als ich mein Gefahrstoffkataster aktualisiert habe. Das ewige hinterherrenen nach aktuellen SDBs bei Reinstoffen, bzw. bei SToffen mit CAS Nummer hab ich jetzt durch eine Verlinkung zur GESTIS-Datenbank gelöst.

    Gruß Frank

    Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden;
    es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun. (Johann Wolfgang von Goethe)

  • Aber es ist auffällig, daß Stoffe, die kein Gefahrstoff sind auch automatisch keine H- und P-Sätze haben. ...

    Warum sollte man dort auch H- und P-Sätze zuordnen?
    Bei Stoffen die nicht Kennzeichnungspflichtig sind, werden auch keine H- und P-Sätze zugeordnet. Die Zuordnung erfolgt ja in der Regel anhand der Einstufung und ist im CLP klar vorgegeben. Da kann man nicht so einfach ein paar Piktogramme mit beliebigen H- und P-Sätzen kombinieren.
    Der Begriff Gefahrstoff umfasst mehr als nur die kennzeichnungspflichtigen Stoffe! Oft wird allerdings vereinfacht und nur die kennzeichnungspflichtigen Stoffe als Gefahrstoff angesehen. Schau Dir mal §3a ChemG an, da wird aufgeführt, was gefährliche Stoffe sind. Im §2 GefStoffV wird dann definiert, was Gefahrstoffe sind. Deutlich umfangreicher, als "nur kennzeichnungspflichtige" Stoffe.
    Bei Reinstoffen ist es ja noch relativ einfach und da kann man oft auch sagen, dass der Stoff, wenn er nicht kennzeichnungspflichtig ist und keinen AGW besitzt als kein Gefahrstoff angesehen werden kann.
    Bei Mischungen wird es schon komplizierter. Ein Bier als Chemikalie eingesetzt und ohne die Ausnahme Lebensmittel zu beachten, wäre formal ein Gefahrstoff. Nicht weil das Bier kennzeichnungspflichtig wäre (ist es nicht, da zu geringer Ethanol Gehalt), sondern weil Ethanol einen AGW besitzt. Somit trifft §2 GefStoffV, Satz 1, Punkt 5 zu, der da lautet "alle Stoffe, denen ein Arbeitsplatzgrenzwert zugewiesen worden ist." Das Bier müsste also im Gefahrstoffverzeichnis aufgeführt werden. Man kommt nur aus der Nummer heraus indem man in der Gefährdungsbeurteilung auf geringe Gefährdung kommt.
    Jetzt zum Harnstoff: Kennzeichnungspflichtig ist er nicht. AGW gibt es auch keinen direkten, den Staubgrenzwert kann man hier nur als Orientierung ansehen. Potentielle Gefährdungen hatte ich in meinem letzten Post ja schon erwähnt, wird also der Harnstoff in größeren Mengen im alkalischen Bereich oder per Hautkontakt eingesetzt, würde ich unterstellen, dass man nicht mehr im Bereich geringe Gefährdung ist.
    Ähnlich verhält es sich auch bei Kochsalz. Kleine Mengen, seltener Umgang sind kein Problem, wenn aber z.B. der Metzger täglich Fleisch einsalzen darf ohne entsprechende Schutzmaßnahmen wird man feststellen, dass er Probleme an der Haut bekommen wird. Somit wird klar, die Umgangsmenge und -Häufigkeit ist bei nicht kennzeichnungspflichtigen Stoffen relevant, um zu entscheiden, ob man sie im Kataster aufnimmt oder nicht und dann auch, ob es sinnvoll ist eine BA zu erstellen. Hier wird bei den nicht kennzeichnungspflichtigen Stoffen selten eine BA fällig werden, außer man kommt eben, wie bei den obigen Beispielen zum Schluss, dass der Umgang nicht harmlos ist.

    Zur besseren Lesbarkeit verwende ich in meinen Beiträgen das generische Maskulinum. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

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  • Ein Bier als Chemikalie eingesetzt und ohne die Ausnahme Lebensmittel zu beachten, wäre formal ein Gefahrstoff. Nicht weil das Bier kennzeichnungspflichtig wäre (ist es nicht, da zu geringer Ethanol Gehalt), sondern weil Ethanol einen AGW besitzt. Somit trifft §2 GefStoffV, Satz 1, Punkt 5 zu, der da lautet "alle Stoffe, denen ein Arbeitsplatzgrenzwert zugewiesen worden ist." Das Bier müsste also im Gefahrstoffverzeichnis aufgeführt werden. Man kommt nur aus der Nummer heraus indem man in der Gefährdungsbeurteilung auf geringe Gefährdung kommt.

    Moin,
    da bei allen anderen Definitionskriterien explizit von "Stoffen, Zubereitungen (und Erzeugnissen)" geschrieben wird, dreht es sich bei dem von dir zitierten Absatz glaub ich wirklich nur um (Rein-)Stoffe. Bier würde da dann als Gemisch nicht darunter fallen. Oder mach ich da einen Denkfehler?

    Gruß
    Moritz

  • Moin,da bei allen anderen Definitionskriterien explizit von "Stoffen, Zubereitungen (und Erzeugnissen)" geschrieben wird, dreht es sich bei dem von dir zitierten Absatz glaub ich wirklich nur um (Rein-)Stoffe. Bier würde da dann als Gemisch nicht darunter fallen. Oder mach ich da einen Denkfehler?

    Gruß
    Moritz

    AGW werden, bis auf die Summen-AGW (z.B. Staubgrenzwert) nur für Stoffe vergeben. Dies führt aber nicht automatisch dazu, dass man die AGW bei Mischungen nicht beachten muss. Sobald eine Mischung einen oder mehrere Stoffe mit AGW enthält, müssen diese entsprechend beachtet werden und dann greift meiner Meinung nach auch die Definition.

    Zur besseren Lesbarkeit verwende ich in meinen Beiträgen das generische Maskulinum. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

  • AGW werden, bis auf die Summen-AGW (z.B. Staubgrenzwert) nur für Stoffe vergeben. Dies führt aber nicht automatisch dazu, dass man die AGW bei Mischungen nicht beachten muss. Sobald eine Mischung einen oder mehrere Stoffe mit AGW enthält, müssen diese entsprechend beachtet werden und dann greift meiner Meinung nach auch die Definition.

    Moin,
    ich hab ja auch niergendwo geschrieben, dass der AGW bei Gemischen nicht beachtet werden muss. Da würde dann meiner Meinung nach
    "Stoffe und Zubereitungen, die die Kriterien nach den Nummern 1 bis 3 nicht erfüllen, aber auf Grund ihrer physikalisch-chemischen, chemischen oder toxischen Eigenschaften und der Art und Weise, wie sie am Arbeitsplatz vorhanden sind oder verwendet werden, die Gesundheit und die Sicherheit der Beschäftigten gefährden können" greifen.
    Ich glaube aber nicht, dass die reine Anwesenheit eines Stoffes mit AGW automatisch zu der Einstufung eines Gemisches als Gefahrstoff führt. Das würde nämlich erstens logisch keinen Sinn machen, da Stoffe die in geringen Konzentrationen tolerabel sind und deswegen einen AGW haben, damit strenger bewertet werden würden als Stoffe die keinen AGW haben. Zweitens wird das dann auch praktisch richtig kompliziert, dann sollte ich nämlich die Definition auch auf Erzeugnisse ausdehnen und habe dann zB. großen Spaß dabei, viele viele viele Plastikteile im Betrieb zusammenzusuchen und jeweils eine Gefährdungsbeurteilung für Bisphenol A zu machen.
    Das macht dann wirklich keinen Sinn mehr.

    Gruß
    Moritz

  • Ich glaube aber nicht, dass die reine Anwesenheit eines Stoffes mit AGW automatisch zu der Einstufung eines Gemisches als Gefahrstoff führt. Das würde nämlich erstens logisch keinen Sinn machen, da Stoffe die in geringen Konzentrationen tolerabel sind und deswegen einen AGW haben, damit strenger bewertet werden würden als Stoffe die keinen AGW haben.

    Gefährlichere Stoffe, die keinen AGW haben gibt es eigentlich nur im Bereich der CMR Stoffe und dies liegt an der Systemumstellung innerhalb der EU. Die alten TRK waren technisch definierte Werte, ohne gesundheitsbezogene Grundlage, daher wurden sie gestrichten. Dann war man lange der Meinung, ein Molekül genügt für die Wirkung. Erst mit dem Risikoakzeptanzkonzept kommt man nun zu neuen Einstufungen, deren wissenschaftliche Ausarbeitung allerdings aufwändig und somit eben nicht von jetzt auf gleich erfolgen kann.

    Zweitens wird das dann auch praktisch richtig kompliziert, dann sollte ich nämlich die Definition auch auf Erzeugnisse ausdehnen und habe dann zB. großen Spaß dabei, viele viele viele Plastikteile im Betrieb zusammenzusuchen und jeweils eine Gefährdungsbeurteilung für Bisphenol A zu machen.
    Das macht dann wirklich keinen Sinn mehr.

    Praktisch ist das nicht so kompliziert, denn raus kommt man über die Gefährdungsbeurteilung bei welcher man dann feststellt, dass man hier im Bereich geringe Gefährdung landet. Pauschal einfach zu sagen, nicht kennzeichnungspflichtige Produkte sind kein Gefahrstoff ist auf jeden Fall nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechend.

    Zur besseren Lesbarkeit verwende ich in meinen Beiträgen das generische Maskulinum. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

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