Änderung des ASM-Handbuchs ohne Mitbestimmung des Betriebsrates

ANZEIGE
ANZEIGE
  • Ein Arbeitgeber ändert sein Arbeitschutzmanagementsystem-Handbuch (AMS-Handbuch), nachdem ein Zertifizierer darin Korrekturbedarf erkannt hatte. Das AMS-Handbuch ist Bestandteil der Unternehmensregeln. Verschiedene Arbeitsschutzprozesse nehmen Bezug zu dem Handbuch.

    Der Arbeitgeber ist der Ansicht, dass die Änderungen der Definitionen, Entscheidungskriterien und Regeln in dem Handbuch keine Auswirkungen auf die bestehende Praxis des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in den Betrieben hätte. Darum sei Mitbestimmung nicht erforderlich.

    Der Betriebsrat ist also vor Inkrafttreten des überarbeiteten AMS-Handbuchs nicht in der Lage, selbst festzustellen, ob die Änderungen Auswirkungen haben

    Das AMS des Unternehmens ist nach einem Standard zertifiziert, der von dem Unternehmer verlangt, Änderungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz mit den Beschäftigten "abzustimmen". Genau den Absatz, der diese Regel enthält, übernimmt das Unternehmen jedoch nicht in das überarbeitete Handbuch. Da der Arbeitgeber dem Betriebsrat ein Anspruch auf Mitbestimmung abspricht, kann der Betriebsrat auch nicht in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber darauf dringen, dass diese in dem Standard enthaltene Regel zur Mitbestimmung in das Neue Handbuch mit aufgenommen werden.

    Interessant ist auch, dass der selbst der Zertifizierer keinen Wert darauf legt, dass die im Standard enthaltenen Regeln zur Mitbestimmung in das neue Handbuch mit aufgenommen werden. Das schüchtert den Betriebsrat ein. Er traut sich nicht zu, das Vorgehen des Zertifizierers in Frage zu stellen.

    "Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen." (Quelle: BAG, Beschluss vom 8.11.2011, 1 ABR 42/10, http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechts…ht=bag&nr=15760)
    Aus meiner Sicht entspricht das Vorgehen des Unternehmers weder den Vorgaben des Betriebsverfassungsgesetzes noch den Regeln des Standards.

    Der Betriebsrat ist sich aber nicht sicher, ob er sein Mitbestimmungsrecht überhaupt durchsetzen kann. Er befürchtet zudem, dass ein Durchsetzen des Mitbesstimmungsrechts die Zusammenarbeit mit der Unternehmensleitung im Bereich des Arbeitsschutzes beeinträchtigen könnte. Darum kommt er zu dem Schluss, dass die die ganze Angelegenheit keine hohe Priorität habe und nichts gegen die mitbestimmunslose Einführung des AMS-Handbuchs unternommen werden solle.

    Darum lehnt der Betriebsrat es auch ab, in einer Betriebsratssitzung eine Diskussion über die Änderungen im Handbuch und den fehlenden Einbezug der Regeln zur Mitbestimmung in das Handbuch zu führen. Er lehnt darum auch den Antrag eines Betriebsratsmitglied ab, sich vom Rechtsanwalt des Betriebsrates in dieser Angelegenheit beraten zu lassen.

    Wie beurteilt Ihr die Situation? Die Mitbestimmungspflicht im Arbeitsschutz ist unabdingbar. Darf die Mehrheit der Betriebsratsmitglieder trotzdem entscheiden, sich nicht mit dem Thema zu befassen und auf den Versuch der Durchsetzung seines Mitbestimmungsrechtes zu verzichten? Ist es richtig (im Interesse einer harmonischen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber und wegen anderer Prioritäten), die Handbuch-Änderungen ohne eine inhaltliche Überprüfung und Diskussion dieser Änderung zu akzeptieren und auf eine rechtliche Beratung zu verzichten?

    Mit besten Grüßen
    achtzehntausendundeins

  • ANZEIGE
  • Hi,

    die Frage ist doch, was wurde geändert?

    Ist aus BGV A2 die DGUV Vorschrift 2 geworden?

    Wurden die Änderungen des Arbeitsschutzgesetzes eingepflegt?

    Oft werden von den Zertifizieren nicht viel Zeit gelassen um das zu ändern.
    Daher würde ich mal freundlich nach den Änderungen fragen und wenn diese alle wegen Gesetzes- oder Vorschriftenänderungen erfolgt sind, ist das Thema erledigt.

    Grüße
    Lucy

  • Hi Lucy,

    Zu den Änderungen: Ein Mitarbeiter hatte entdeckt, dass das Handbuch noch auf dem Stand von OHSAS 18001:1999 war. Es ging also um das Update zu OHSAS 18001:2007. Das führte zu einem Sonderaudit, zu dem der Betriebsrat, wie auch bei früheren Audits, wieder einmal nicht eingeladen wurde.

    Umgekehrt standen "psychische Belastungen" schon lange vor der Gesetzesänderung in dem Handbuch. Das klingt positiv, aber es gab - im Gegensatz zu den anderen Gefährdungskategorien - keine entsprechenden Unterprozesse (Gefährdungsbeurteilung, Unterweisung usw.) dafür. Also standen "psychische Belastungen" auch nur zum Vorzeigen auf dem Papier, und das war's dann auch. Das ist aber noch eine andere Baustelle.

    Die Änderungen sind zum Teil Anlehnungen (eine 1:1-Übernahme macht angesichts der Unterschiedlichkeit der Betriebe keinen Sinn) an den Originaltext von 18001:2007, die im veralteten Text fehlten. Die Anpassung an die aus Arbeitgebersicht gesehenen betrieblichen Erfordernisse (die Betriebsratssicht interessierte nicht) bestand dann in einer Verringerung des Risikos des Arbeitgebers, um es freundlich auszudrücken. Auch die Erkrankungsdefinition bleibt hinter dem zurück, was OHSAS 18001:2007 den Arbeitnehmern gewährt. Wirklich auffallend ist jedoch, dass der Abs. 4.4.3.2, der sich der Mitbestimmung widmet, nicht einmal andeutungsweise in dem Handbuch wiederzufinden ist.

    Wie auch immer: Ob nun kleine Änderungen oder große Änderungen: Der Betriebsrat hat das Recht, die Auswirkung der Regeländerungen auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz im Betrieb selbst zu beurteilen (Information des Arbeitgebers an die Arbeitnehmervertretung über geplante Änderungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz ist eine Bringschuld des Arbeitgebers) und dann gegebenenfalls auf Absprachen zu drängen, wie in Abs. 4.4.3.2 von OHSAS 18001:2007 (in dem die Mitbestimmung über das BetrVG hinaus geht) beschrieben. Aber (wer hätte das gedacht?) genau diesen Absatz möchte der Unternehmer auch nicht andeutungsweise in seinem Handbuch sehen. Der Zertifikator hat ihm dabei geholfen. Dem Betriebsrat wurde keine Gelegenheit gegeben, die in OHSAS 18001:2007 Abs. 4.4.3.2 geforderten Absprachen zu treffen.

    Das Problem ist also, dass das Handbuch schon still und leise in Kraft trat, bevor der Betriebsrat mitbestimmen konnte. Da das neue Handbuch nun sichtbar ist, beim Betriebsrat Kopien des verschwundenen alten Handbuchs vorliegen und sich der Betriebsrat auch eine Ausgabe von OHSAS 18002:2008 zugelegt hat, ist der Vergleich einfach möglich. Dass der Betriebsrat einfach vor Tatsachen gestellt wurde, ist das Hauptproblem, zumal Abstimmungsbedarf durchaus erkennbar ist.

    Alles Beste
    achts
    zehntausendundeins

    PS: Die ganze Geschichte ist nicht in meinem eigenen Betrieb passiert.

  • Mich würde viel mehr interessieren, was von dem Inhalt des Handbuches wird in der Betriebspraxis "gelebt"? Statt also darum zu streiten, ob man nun im Vorfeld beteiligt werden muss oder nicht, würde ich die Praxis betrachten. Wird dort auch das umgesetzt, was im Handbuch steht, oder geschieht dies auch nicht?
    Ich kenne einige Handbücher nach diversen Managementsystemen, da stehen tolle Sachen drin, schaut man dann die Umsetzung an, stellt man schnell fest, "Papier ist geduldig". Mir wäre, statt einer Mitbestimmung beim Handbuch, wesentlich wichtiger, dass der Arbeitsschutz im Betrieb, entsprechend umgesetzt wird.

    Zur besseren Lesbarkeit verwende ich in meinen Beiträgen das generische Maskulinum. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

  • Wie beurteilt Ihr die Situation? Die Mitbestimmungspflicht im Arbeitsschutz ist unabdingbar. Darf die Mehrheit der Betriebsratsmitglieder trotzdem entscheiden, sich nicht mit dem Thema zu befassen und auf den Versuch der Durchsetzung seines Mitbestimmungsrechtes zu verzichten? Ist es richtig (im Interesse einer harmonischen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber und wegen anderer Prioritäten), die Handbuch-Änderungen ohne eine inhaltliche Überprüfung und Diskussion dieser Änderung zu akzeptieren und auf eine rechtliche Beratung zu verzichten?


    Hallo achtzentausendeins,

    ob der BR auf seine Mitbestimmungsrechte verzichten kann ist eine juristische Frage die hier im Forum nicht beantwortet werden kann und darf (Rechtsberatung).

    Ob es richtig ist die Handbuch-Änderungen ohne eine inhaltliche Überprüfung und Diskussion dieser Änderung zu akzeptieren ist eine politische Frage die nur unter genauer Kenntnis der Situation entschieden werden kann.

    Rechtberatung brauche ich doch nur dann wenn mir die rechtliche Situation nicht klar ist. Ich habe nach deinen Beschreibungen den Eindruck, dass der BR die rechtliche Situation durch aus erkennt aber nicht handeln will.

    viele Grüße

    kuddel
    Ob es richtig ist

  • ANZEIGE
  • Hallo
    also aus Sicht eines Qualitätsmanagers würde ich mich zuerst mal fragen, ob das Mitbestimmungsrecht des BR in der für das beschriebene Unternehmen geltenden Norm vielleicht ein mögliches Ausschluss-Kriterium sein könnte. -»wohl eher nicht...
    (In der Din Iso 9001:2008 darf man zb. als einzigste Kapitel die Entwicklung ausschließen - allerdings nur mit entsprechender schriftlicher Begrünung, wenn es auf den entspr Betrieb nicht zutrifft.)**
    Wobei ich mir das jetzt für den beschriebene Bereich nicht vorstellen kann, denn die Info der Beschäftigten* ist in meinen Augen ein wichtiger Bestandteil.
    Und damit wären nicht alle Normanforderungen erfüllt!!
    Und das MUSS dem Auditor einfach auffallen!!! { = mindestens ein Hinweis (wenn alle Augen zugedrückt wären), eigentlich eine Abweichung = Nachaudit weil Zertifikat nicht erteilt....}
    Interessant wäre es also, mal zu schauen, was in dem Auditbericht dazu steht :)
    Und dann bleibt zum Anschluss die Frage: Warum lässt die Zertifizierungsfirma das so durchgehen? Denn letztlich verfasst der Auditor nach seinem externen Audit einen Bericht, der an die Zertifizierungsfirma weitergeht und dort von jemandem nochmal kontrolliert wird auf Einhaltung alle Normanforderungen, bevor er freigegeben wird und endgültig rausgeht.
    Und somit wäre eine "vorsichtige" Nachfrage beim Zertifizierer auch eine Möglichkeit... (dabei jedoch vorsichtig die Worte wählen).

    *Die Info kann auch durch ein Rundschreiben oder in Bereichs-/Team-Besprechungen erfolgen. Das muss dann jedoch auch wieder irgendwie nachweisbar sein und sollte optimalerweise auch irgendwie im Handbuch stehen.

    **alle anderen Normanforderungen müssen in irgendeiner Art und Weise irgendwo im QM-/ASM-Handbuch beschrieben sein. Das kann mit "5 separaten Seiten" als eigenständiges Verfahren oder mit 2 knappen Sätzen irgendwo an einer Stelle in vielleicht einem ganz anderen Verfahren beschrieben werden.

    Liebe Grüße, Susi :002:
    Für (Schreib-)Fehler ist mein Handy verantwortlich..... 8)

    Vernunft ist manchmal nichts anderes als der Mut zur Feigheit. (G. B. Shaw)

  • Mich würde viel mehr interessieren, was von dem Inhalt des Handbuches wird in der Betriebspraxis "gelebt"? Statt also darum zu streiten, ob man nun im Vorfeld beteiligt werden muss oder nicht, würde ich die Praxis betrachten. Wird dort auch das umgesetzt, was im Handbuch steht, oder geschieht dies auch nicht?
    Ich kenne einige Handbücher nach diversen Managementsystemen, da stehen tolle Sachen drin, schaut man dann die Umsetzung an, stellt man schnell fest, "Papier ist geduldig". Mir wäre, statt einer Mitbestimmung beim Handbuch, wesentlich wichtiger, dass der Arbeitsschutz im Betrieb, entsprechend umgesetzt wird.

    Leider wird das Handbuch aus Sicht des Betriebsrates im Bereich der mentalen Arbeitsbelastung nicht "gelebt". In dem Handbuch "stehen tolle Sachen drin, schaut man dann die Umsetzung an, stellt man schnell fest, 'Papier ist geduldig'." ist genau hier der Fall.

    "Umsetzung statt Mitbestimmung" ist hier keine Alternative, denn erst über die Mitbestimmung konnte der Betriebsrat schön auf dem Papier Geschriebenes (speziell das Erfassen und Bewerten von Vorfällen und Gefährdungen) zum Leben erwecken.

    Beste Grüße -- achtzehntausendeins

  • Hallo kuddel,

    Es muss ja nicht unbedingt um Rechtsberatung gehen, sondern z.B. um standardkonformes Vorgehen und/oder um den Umgang Anderer mit der Mitbestimmung. Nach OHSAS 18001:2007 sind Veränderungen im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes mit den Beschäftigten abzustimmen. -- Der Eindruck zur Schüchternheit des Betriebsrates ist übrigens z.T. richtig.

    Beste Grüße -- achtzehntausendeins

  • ...denn die Info der Beschäftigten* ist in meinen Augen ein wichtiger Bestandteil.
    Und damit wären nicht alle Normanforderungen erfüllt!!
    Und das MUSS dem Auditor einfach auffallen!!! { = mindestens ein Hinweis (wenn alle Augen zugedrückt wären), eigentlich eine Abweichung = Nachaudit weil Zertifikat nicht erteilt....}
    Interessant wäre es also, mal zu schauen, was in dem Auditbericht dazu steht :)
    Und dann bleibt zum Anschluss die Frage: Warum lässt die Zertifizierungsfirma das so durchgehen?. ...

    Hallo Snoopy -- Hier ist vieles noch Neuland für den BR. Aber der Auditbericht wird jetzt angefordert. -- Warum der Zertifizierer eine "mitbestimmungsfreie" Änderung durchgehen lässt, ist eine gute Frage. Ein Grund kann sein, dass der Schwerpunkt des Audits bisher auf ISO 14001 lag und nicht auf OHSAS 18001. Die Umwelt macht ihre Mitbestimmung in der Regel erst nach einer längeren Verzögerungszeit geltend. Und der Betriebsrat brauchte auch etwas Zeit, OHSAS 18001 zu verstehen, nachdem er den Standard in seinem Betrieb entdeckte. Auch der Zertifizierer ist vielleicht noch nicht so sehr an die Usancen im Arbeitsschutz gewohnt. Und obwohl der Zertifizierer groß genug ist, hat er anscheinend keinen eigenen Betriebsrat. Vielleicht mag der Zertifizierer die Mitbestimmung nicht so sehr.

    Beste Grüße
    achtzehntausendeins

  • ANZEIGE