Ist eine irrtümliche Abmahnung ein Vorfall gemäß Definition 3.9 in OHSAS 18001:2007?

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  • Nach Definition 3.9 in OHSAS 18001:2007 sind "Vorfälle" Ereignisse, die eine Verletzung oder Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) oder einen tödlichen Unfall zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können. "Erkrankungen" sind erkennbare, nachteilige physische oder mentale Zustände, die durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation entstanden sind und/oder verschlechtert wurden.

    Eine Mitarbeiterin meldet eine Fehlbelastung. Daraufhin erhält sie eine Abmahnung, weil ihre Fallbeschreibung vom Arbeitgeber als Vorwurf einer Straftat interpretiert wird. Bei der Übergabe der Abmahnung an die Mitarbeiterin wird diese vom Arbeitgeber noch mündlich aufgefordert, "Verleumdungen" (§ 187 StGB) zu unterlassen. Mit Hilfe des Betriebsrates und eines Rechtsanwalts erreicht die Mitarbeiterin innerhalb von drei Monaten die Rücknahme der Abmahnung.

    Danach ist die Mitarbeiterin innerhalb der folgenden 12 Monate für insgesamt 14 Wochen arbeitsunfähig, davon 6 Wochen in einer Klinik für psychosomatische Erkrankungen.

    Die Fehlbelastung wird weiterhin vom Arbeitgeber weder erfasst noch beurteilt. Weitere Mitarbeiter melden die gleiche Fehlbelastung. Ohne Gefährdungsbeurteilung trifft der Arbeitgeber daraufhin Maßnahmen zur Beseitigung der Fehlbelastung.

    Die Fehlbelastung wurde also beseitigt und der Arbeitgeber kann sich auch mit einer Abmahnung einmal irren. So weit, so gut. Aber war die Abmahnung ein Ereignis gewesen, das eine Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) hätte zur Folge haben können? Müsste der Vorgang vom Arbeitgeber gemäß Kapitel "4.5.3.1 Vorfalluntersuchungen" im Sinn der Definition 3.9 bearbeitet werden oder sollte man hier die Vergangenheit ruhen lassen und in die Zukunft schauen?

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  • ... war die Abmahnung ein Ereignis gewesen, das eine Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) hätte zur Folge haben können?

    ... wenn ja - ist dann auch Anhusten oder Handschütteln mit Ansteckungsgefahr einer Grippe,
    ein scharfer Ton in einem Gespräch,
    die Mitteilung, dass die Firma mittelfristig 20% der Belegschaft entlassen will
    uvam.
    auch ein "Ereignis"?
    Irgendwo hört es auf ... :evil:

    Die Ursache für die Fehlbelastung (=psychologische Gefährdung) sehe ich als "Ereignis".

    "Mit zunehmendem Abstand zum Problem wächst die Toleranz." (Simone Solga)
    "Toleranz ist das unbehagliche Gefühl, der andere könnte am Ende doch recht haben." (Robert Lee Frost)
    "Geben Sie mir sechs Zeilen von der Hand des ehrenwertesten Mannes - und ich werde etwas darin finden, um ihn zu hängen." (Kardinal Richelieu)
    "Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse" (Antoine de Saint-Exupéry)

    "Wie kann ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?" (Edward Morgan Forster)

  • ... wenn ja - ist dann auch Anhusten oder Handschütteln mit Ansteckungsgefahr einer Grippe,
    ein scharfer Ton in einem Gespräch,
    die Mitteilung, dass die Firma mittelfristig 20% der Belegschaft entlassen will
    uvam.
    auch ein "Ereignis"?
    Irgendwo hört es auf ... :evil:

    Die Ursache für die Fehlbelastung (=psychologische Gefährdung) sehe ich als "Ereignis".


    Die Ursache für Fehlbeanspruchungen sind fehlbelastende Ereignisse bzw. Vorfälle. Eine Gefährdung ist noch keine Fehlbelastung.

    Wem die niedrige Toleranzschwelle von OHSAS 18001 nicht gefällt, muss sich ja nicht zertifizieren lassen. Die niedrige Toleranzschwelle zwingt dazu, Verantwortung für die Bewertung der Schwere von Vorfällen zu übernehmen. In OHSAS 18001:1999 war die Schwelle noch höher. Tatsächlich muss sich heute der Arbeitsschutz zertifizierter Betriebe nach OHSAS 18001:2007 nun auch mit "Kleinigkeiten" befassen. Das ist aber kein Problem, denn es kann ja entschieden werden, dass ein Vorfall tatsächlich nur eine tolerierbare Kleinigkeit ist. Der Unterschied zu früher: Heute muss der Arbeitgeber die Verantwortung für eine solche Entscheidung nachvollziehbarer übernehmen. Wohl aus diesem Grund ist in OHSAS 18001:2007 die Gefährdungsbeurteilung ja auch in zwei Schritte unterteilt worden. So kann man mit "Kleinigkeiten" effizient umgehen und muss nicht immer gleich das volle Programm fahren.

    In der Praxis hilft in Deutschland die Mitbestimmung. Eine gute und paritätische zusammengesetzte Kommission kann sicherstellen, dass frivole Meldungen von Vorfällen schnell erledigt werden.

    Nebenbei: "Anhusten oder Handschütteln mit Ansteckungsgefahr einer Grippe" ist ganz sicher keine Kleinigkeit mehr. Das passiert, wenn Mitarbeiter trotz Erkrankung zur Arbeit gehen. Klar sind solche Vorfälle ein Arbeitsschutzthema. Und natürlich ist 20% Stellenabbau auch dann ein belastendes (und eventuell Erkrankungen verursachendes) Ereignis, wenn diese Maßnahme unvermeidbar ist. Ein Unternehmen ist keine Insel, auf der man Fehlbelastungen verbieten kann. Auch Unternehmen können krank machendem Stress ausgesetzt sein, ohne dass hier den Arbeitgeber die Schuld trifft. Der Arbeitgeber kann nicht alle Vorfälle (nach Def. 3.9 in OHSAS 18001:2007) verhindern, aber er muss dafür sorgen, dass verantwortlich mit diesen Vorfällen umgegangen wird.

    Zum Thema dieser Diskussion: Die Mitarbeiterin war fehlbelastet und der Arbeitgeber setzte dann mit der Abmahnung noch Eines drauf. Auch stellte sich ja heraus, dass der Arbeitgeber die Abmahnung nicht aufrecht erhalten konnte und den gemeldeten Mißstand dann doch beseitigen musste. Hinsichtlich der für die Mitarbeiter theoretisch benachteiligungsfreien Bearbeitung von Fehlbelastungsmeldungen durch den Arbeitgeber kommt dieser Vorfall einem GAU doch ziemlich nahe.