Hallo,
da hier anscheinend nicht viele andere Arbeitsmediziner unterwegs sind, möchte ich da Thema gerne mal aus arbeitsmedizinischer Sicht beleuchten.
Durch die neue ArbMedVV hat sich gar nicht sooo viel geändert, wie viele (auch Berufskollegen) behaupten. Vielmehr besteht jetzt Rechtsklarheit über Dinge, die auch vorher schon gegolten haben. Neu ist, dass der Arbeitgeber bei der der Pflichtvorsorge wie in den letzten Jahren bereits bei der Angebotsvorsorge nur noch eine Teilnahmebescheinigung enthält und keine Beurteilung mehr darüber ob "gesundheitliche Bedenken" bestehen oder nicht. Die gesundheitliche Unbedenklichkeit war aber auch in der alten ArbMedVV keine Tätigkeitsvoraussetzung (Ausnahmen: Druckluft und Strahlenschutz), verlangt wurde lediglich die Teilnahme an der Untersuchung. Neu ist auch, dass auch bei der Pflichtvorsorge die körperliche Untersuchung abgelehnt werden darf. Es bleibt dann nur noch eine Pflichtberatung übrig (auch hierfür gibt es bereits die o.g. Teilnahmebescheinigung). Nach juristischer Auffassung des BMAS bestand jedoch auch nach alter ArbMedVV für körperliche Untersuchungen kein Duldungszwang. Im Grunde hat das Ergebnis einer Vorsorgeuntersuchung den Arbeitgeber auch nicht zu interessieren (es sei denn, der Mitarbeiter wünscht dies - z.B. um Veränderungen am Arbeitsplatz zu erreichen). Mängel bei der Arbeitsplatzgestaltung die in der Person des untersuchten Mitarbeiters liegen dürfen nach neuer ArbMedVV auch nur mit Zustimmung des Mitarbeiters dem Arbeitgeber kundgetan werden. Wenn also beispielsweise alle Bürostühle nichts taugen, kann ich dies dem Arbeitgeber mitteilen. Wenn aber nur Herr XY aufgrund eines Bandscheibenvorfalls einen speziellen Bürostuhl benötigt muss Herr XY mit der Mitteilung einverstanden sein bzw. die Bürostuhlbescheinigung am besten selbst beim Arbeitgeber abgeben. Bei den meisten Vorsorgeuntersuchungen geht es ja nicht um die Gefährdung von Dritten oder von Sachgütern, sondern um die Eigengefährdung der Mitarbeiter. Jeder hat das Recht ein gewisses Risiko zu tragen, ansonsten dürften schnelle Autos nicht gebaut und Zigaretten nicht verkauft werden. Die mitlesenden SiFas und Personalverantwortlichen können sich ja selbst mal fragen, ob Sie - wie empfohlen - ab dem 35. Lebensjahr regelmäßig bei der Hautkrebsvorsorge oder ab dem 50. Lebensjahr bei der Darmkrebsvorsorge waren. Wahrscheinlich wird der eine oder andere hier diesbezüglich Nachholbedarf haben. Trotzdem käme niemand ernsthaft auf die Idee, die Teilnahme an diesen Untersuchungen vorzuschreiben. Warum soll das bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge anders sein ?
Klar trennen von der arbeitsmedizinischen Vorsorge muss man die Eignungsuntersuchungen. Diese Trennung war auch zu Zeiten der alten ArbMedVV im Grunde schon erforderlich, wurde in der Praxis aber gerne vermieden. Die Eignungsuntersuchungen sind (abgesehen von Druckluft und Strahlenschutz) nirgends staatlich geregelt (und werden sie wohl auch nicht). Eignungsuntersuchungen im Rahmen der Einstellung scheinen juristisch unbedenklich zu sein (wenngleich die Arbeitgeber regelmäßig damit überfordert sind Eignungskriterien für Ihren Betrieb festzulegen). Für routinemäßige Eignungs-Nachuntersuchungen muss es jedoch eine Rechtsgrundlage geben. Für einige Bereiche gibt es die ja auch (div. Unfallverhütungsvorschriften, Feuerwehrdienstverordnungen usw.) für andere Bereiche aber auch nicht. Ob eine Gefährdungsbeurteilung alleine bereits eine Rechtsgrundlage darstellen kann ist juristisch noch nicht ausdiskutiert. Um Eignungsuntersuchungen zu rechtfertigen muss die Gefahr schon ein gewisses Ausmaß haben, damit die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Insbesondere muss das Risiko durch die Tätigkeit im Vergleich zur Gesamtbevölkerung erheblich erhöht sein. Eine Untersuchung für Gabelstaplerfahrer kann so gerechtfertigt sein, für PKW Fahrer aber eher nicht. Die Trennung von Eignungs- und Vorsorgeuntersuchungen macht übrigens auch medizinisch inhaltlich Sinn. Wenn ich beispielsweise wissen will, ob jemand unter Konzentrationsstörungen leidet kann ich dies bei einer Vorsorgeuntersuchung erfragen (es gibt ja keinen Grund mich anzulügen), bei einer Eignungsuntersuchung sollte man aber besser einen Konzentrationstest machen um eine vernünftige Beurteilung abgeben zu können (da man sonst ggf. angelogen werden würde). Anderes Beispiel: Im Rahmen einer Vorsorge wäre ein suchtkranker Mitarbeiter gut beraten sich dem Arzt gegenüber zu offenbaren, im Rahmen einer Eignungsfeststellung wohl eher nicht. Das Eignungs- und Vorsorgeuntersuchungen nicht am selben Termin stattfinden ist natürlich eher Theorie, man kann auch am selben Termin die Untersuchungsteile klar trennen und dies auch kommunizieren.
Leider ist die Nomenklatur der G-Untersuchungen immer noch stark verbreitet. Die G-Grundsätze stellen aber schon seit Inkrafttreten der alten ArbMedVV keinerlei Rechtsgrundlage mehr da (Ausnahme Ehrenamtliche) sondern haben allenfalls Leitliniencharakter (obwohl sie noch nicht mal evidenzbasiert sind). Dementsprechend kann sich aus den G-Grundsätzen auch kein Untersuchungszwang ergeben. Bei der G25 (Fahr- und Steuertätigkeiten) und bei der G26.3 (schwerer Atemschutz) hat sich durch die neue ArbMedVV ohnehin nichts geändert, denn diese Untersuchungen kommen sowohl in der alten als auch in der neuen ArbMedVV überhaupt nicht vor. Sie sind also weder Pflicht- noch Angebotsuntersuchung (letzteres wird hier im Forum gerne mal behauptet) sondern Eignungsuntersuchungen auf Wunsch des Arbeitgebers oder Wunschuntersuchungen gemäß §11 ArbSchG.
Mit Betriebsvereinbarungen darf nur die betriebliche Umsetzung geltenden Rechts konkretisiert werden. Es darf aber das geltende Recht nicht ausgehebelt oder umgangen werden (dies wäre bei einer Ergebnismitteilung der Vorsorgeuntersuchungen an den Arbeitgeber der Fall) und es darf auch kein zusätzliches Recht neu geschaffen werden. So wäre beispielsweise eine Betriebsvereinbarung zur Einrichtung einer Arrestzelle für ungehorsame Mitarbeiter rechtlich nicht zulässig. Eine vom Mitarbeiter zu unterschreibende Schweigepflichtsentbindung ist im übrigen auch nutzlos, da der Mitarbeiter diese jederzeit (z.B. nachdem er den Sehtest nicht bestanden hat) widerrufen werden kann. Für sämtliche ärztliche Tätigkeiten gilt ja die ärztliche Schweigepflicht. Wenn man mit diesem Thema kommt reagieren Unternehmer (und auch SiFas) gerne mal genervt. Aber es handelt sich bei der ärztlichen Schweigepflicht eben nicht um irgendeine beliebige Verwaltungsvorschrift sondern ein Bruch der ärztlichen Schweigepflicht stellt einen Straftatbestand dar, man kann seine Approbation und evtl. den Wohnungsschlüssel abgeben. Ausnahmen sind nur dort möglich, wo diese der Gesetzgeber explizit gestattet hat (z.B. die Beurteilung gemäß alter ArbMedVV bei Pflichtuntersuchungen). Eine Betriebsvereinbarung kann die Schweigepflicht niemals außer Kraft setzen. Der Betriebsarzt darf (nicht muss) die ärztliche Schweigepflicht nur dann brechen, wenn akute Gefahr im Verzug ist (also wenn ich z.B. einen blinden Epileptiker dem ich im Arztgespräch das Gabelstaplerfahren verboten habe dennoch im Gabelstapler antreffe). Die Hürde für den Bruch der Schweigepflicht bei akuter Gefahr ist aber sehr hoch und ggf. geht es dann vor Gericht durch mehrere Instanzen (wenn der Staplerfahrer seinen Job verloren hat und den Arzt anzeigt).
Am einfachsten ist es, man lässt die Vorsorge in der Hand des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, Bescheinigungen die ich ihm aushändige an den Arbeitgeber weiterzugeben (z.B. wenn er eine Bildschirmbrille oder einen höhenverstellbaren Schreibtisch benötigt) oder eben auch nicht wenn es dies nicht will. Im übrigen wird dann auch der Arbeitgeber von der Last "gesundheitliche Bedenken" befreit. Damit konnten viele Unternehmen nämlich überhaupt nicht umgehen, am Ende hatte der Arzt dann gerne Schuld (... "Herr Doktor, das ist mein bester Mitarbeiter, nun lassen Sie Fünfe doch mal gerade sein").
Für wirklich relevante Gefährdungen sollte man Eignungsuntersuchungen etablieren (Eignung "Gabelstapler", Eignung "Absturzgefährdung" und zukünftig auch Eignung "schwerer Atemschutz"). Die Eignungsbescheinigung bekommt der Mitarbeiter in die Hand gedrückt und gibt diese beim Arbeitgeber ab. Tut er dies nicht sollte der Arbeitgeber beim Mitarbeiter aktiv nachfragen oder sich seinen Teil denken und den Mitarbeiter ggf. mit der jeweiligen Tätigkeit nicht mehr betrauen. Ob er den Mitarbeiter deshalb kündigen darf ist juristisch nicht ausdiskutiert.
"Interessant" finde ich den in einem Beitrag weiter oben beschriebenen Vorstoß eines Unternehmens, dem Betriebsarzt schriftlich mitzuteilen zu wollen, dass das Unternehmen für Schäden, die durch gesundheitliche Nichteignung einzelner Mitarbeiter entstehen, keine Verantwortung übernimmt. Als Betriebsarzt würde ich mit einem Zweizeiler antworten, dass man selbst aufgrund der vom Gesetzgeber zugewiesen Rolle als Betriebsarzt die Verantwortung natürlich auch nicht übernehmen kann. Es gebe dann keinen Verantwortlichen mehr im Betrieb - das Amt f. Arbeitsschutz könnte den Betrieb schließen Ein Seminar zum Thema "Verantwortung im Arbeitsschutz" würde dem Unternehmen gut tun.
Viele vorweihnachtliche Grüße
Basti