Als Betriebsarzt kann ich dazu folgendes beisteuern: Der Betriebsarzt sollte in meinen Augen eigentlich immer bei der Gefährdungsbeurteilung beteiligt werden. Je nach Thema kann die Beteiligung unterschiedlich intensiv ausfallen. Beispielsweise sind die reinen Unfallgefährdungen und die elektrische Sicherheit in meinen Augen schon recht gut bei der SiFa aufgehoben, während ich bei den Themen Gefahrstoffe, Ergonomie oder psych. Gefährdung unbedingt beteiligt werden möchte.
In meinen Augen kommt es nicht so sehr darauf an, welche Profession bestimmte Dinge besser oder schlechter kann, sondern es kommt auf die unterschiedlichen Betrachtungsweisen an. Hierbei stelle ich in der Praxis immer wieder große Unterschiede fest. Mein Eindruck ist beispielsweise, dass sich viele SiFas (natürlich nicht alle !) gerne an BG-Empfehlungen/Vorschriften festbeißen, während der Betriebsarzt eher das Individuum im Blick hat.
Kleines Beispiel aus der Praxis:
Ein Mitarbeiter hat seinen Schreibtisch so positioniert, dass er seitlich aus dem Fenster einen schönen Blick auf eine Parkanlage hat. Leider ist bei dieser Schreibtischanordnung aufgrund der baulichen Gegebenheiten die von der BG empfohlene Bewegungsfläche nach hinten ca. 5 cm zu klein. Abhilfe könnte nur ein wandständiges Aufstellen des Tisches mit Blick auf eine hässliche Waschbetonwand schaffen.
Einschätzung SiFa: 5 cm fehlen ... das geht gar nicht ... Tisch muss unbedingt umgestellt werden
Einschätzung BA: 5 cm fehlen ... macht nichts ... Blick in den Park ist für psych. Gesundheit viel besser als auf die hässliche Wand
In der Praxis habe ich auch schon häufig die Beobachtung gemacht, dass SiFas grundsätzlich nur eine geringe Gefährdung sehen, sobald Grenzwerte (Staub, Lärm, Gefahrstoffe etc.) eingehalten werden, während Betriebsärzte - mit Blick auf das Individuum - auch bei eingehaltenen Grenzwerten im Einzelfall oder für bestimmte Personengruppen durchaus Gefährdungen ausmachen können. Beispielsweise sollte man in einer Arbeitsumgebung, in welcher der Staubgrenzwert nur knapp eingehalten keine Asthmatiker ohne besondere Schutzmaßnahmen arbeiten lassen.
... natürlich gibt es Betriebsärzte, die von nix eine Ahnung haben und nur - oftmals nutzlose - Untersuchungen runterspulen. Ich bin darüber selbst einerseits immer wieder erschrocken, andererseits aber auch verärgert, weil solche Kollegen den ganzen Berufsstand in Verruf bringen. Ich kann nur hoffen, dass solche Kollegen langsam weniger werden. Sie sind häufig ein Relikt aus Zeiten, in denen man die Fachkunde im Schnellverfahren oder autodidaktisch erwerben konnte. Umso mehr sorgt es mich, dass Planungen für eine neue "kleine Fachkunde" bei der Ärztekammer bestehen.