Beiträge von achtzehntausendeins

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    Hallo Leute,

    Konkret zur Einladung der Arbeitnehmervertreter zu Audits: In dem Vordruck der SCCM sind zum Beispiel auch Felder mit Fragen enthalten, mit denen sich Arbeitnehmervertreter drei Wochen vor dem Audit an den Arbeitgeber oder direkt an den Auditor wenden können. Das macht doch Sinn: Die Arbeitnehmer sind die eigentlichen Kunden bei OHSAS 18001. Da ist es doch das Mindeste, dass beim Audit nicht nur über sie gesprochen wird, sondern auch mit ihnen. Dazu gibt es einen eigenen Diskussionsfaden.

    Hier interessiert mich vielmehr, ob so etwas wie das SCCM-Zertifizierungsschema (nach entsprechender Anpassung) auch für Deutschland eine gute Idee wäre.

    Alles Beste
    achtzehntausendeins

    .... Und noch ein Hinweis: Die Beachtung dieses Threads würde die Motivation zu einer Antwort erhöhen, zumindest bei mir.
    Gruß, Niko. ...

    Hallo Niko,

    ich hatte sogar brav beim Einstieg in dieses Forum die Hinweise zu dem Forum gelesen. Den Beitrag, auf den Du verwiesen hattest, hatte ich dabei nicht entdeckt. Sorry & Danke für den Hinweis. Wie Du siehst, folge ich dem gerne. Ich selbst bin nicht so leicht durch fehlende Anreden zu demotivieren und würde es nie jemandem übel nehmen, auf Anreden zu verzichten. Für mich gehört auch zur Netiquette, beim Gesprächspartner zunächst erst einmal beste Absichten zu vermuten. Meistens (nicht immer) gelingt mir das :)


    Zur meiner Frage, ob Kundenaudits nach OHSAS 18001 in zertifizierten Betrieben unnötig sind:

    ... das musst du schon die Kunden des Betriebs selbst fragen.
    Meine Erfahrung sagt, dass Kunden sich nicht von Zertifikaten beeindrucken lassen. ...

    Gut, dass ich auch hier im Forum gefragt hatte und so von Deinen Erfahrung hören konnte. Es freut mich, dass es tatsächlich solche kritischen Kunden gibt. Es gibt nämlich auch zertifizierte Unternehmen mit der folgenden internen Sprachregelung zu Kundenaudits nach OHSAS 18001: "Ablehnen!". Wegen des Zertifikats seien solche Audits ja nicht mehr nötig. Ich bezweifele, das der Auditor des Zertifizierers diese interne Sprachregelung gesehen hat.

    Deutsche Kunden von irgendwelchen pakistanischen Zulieferern im Textilgeschäft mag es reichen, wenn der pakistanische Zulieferer sein Büro mit einem hübschen Zertifikat für sein „AMS“ dekorieren kann. Der Kunde braucht das Zertifikat seines Zulieferers nur zu seiner eigenen Absicherung und natürlich auch für seine Öffentlichkeitsarbeit. Mehr will er gar nicht wissen; die tatsächlichen Zustände beim Zulieferer sind ihm schon aus Kostengründen ziemlich egal.

    Anders ist das beispielsweise bei einem Kunden, der sich unbedingt auf eine hohe Qualität zugelieferter Software oder Firmware usw. verlassen können muss. Da ist dann nicht nur das Managementsystem (vielleicht nach ISO 9001 gestaltet) für Geschäftsprozesse interessant, sondern wie der Zulieferer es seinen Beschäftigten ermöglicht, sich ohne störende Fehlbelastungen auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Hier helfen dem Kunden ernsthafte Audits z.B. nach OHSAS 18001, zu verstehen, wie der Zulieferer mit den oft konfliktbehafteten Herausforderungen des Arbeitsschutzes umgeht. Wie das AMS des Zulieferers wirklich „gelebt“ wird und wie ehrlich der Zulieferer mit den unvermeidlichen Abweichungen im Arbeitsschutz umgeht, zeigt gut, wie es um die Führungskultur des Zulieferers tatsächlich bestellt ist.

    Der Konzern, der Kundenadits ablehnt, erhielt sein Zertifikat nach einem Matrixaudit. Wir wissen jedoch, welche Grenzen ein Matrixaudit im Zertifizierungsgeschäft hat. Der Natur dieser Art von stichprobenartigen Audits gemäß, kann ein nach einem Matrixaudit erteiltes Zertifikat aus einfach nachvollziehbaren Gründen keine Kundenaudits in Zulieferbetrieben ersetzen, deren AMS nicht mit den Fragestellungen auditiert wurden, die für den Kunden wichtig sind. Daraus folgt, dass Kunden schon im geschäftlichen Interesse legitim daran interessiert sein können, auch in einem zertifizierten Betrieb an geeigneter Stelle eigene Kundenaudits mit eigenen Prioritäten durchzuführen.

    Beste Grüße
    achtzehntausendeins

    wenn sich ein Mitarbeiter mal selbst einschätzen und seine Arbeitsbedingungen beleuchten möchte, kann ich den Impulstest empfehlen

    Der IMPULS-Test ist ein sehr guter und verhaltenspräventiv orientierter Test. Allerdings wird er vorwiegend als anonymisierte Mitarbeiterbefragung eingesetzt, die von einem Organisationspsychologen ausgewertet werden sollte. Die Arbeitnehmervertretung muss bei der ganzen Mitarbeiterbefragung mitwirken. (Sie hat nämlich im Arbeitsschutz nicht nur ein Mitbestimmungsrecht, sondern eine Mitbestimmungspflicht.)

    ich hatte heute eine Firma im Haus, die Stressmessungen anbietet und dabei mit einer Fingerstulpe und einer App am Smartphone anhand der Herzfrequenzvariabilität Stress misst.

    Haarsträubend. Was sagt denn hier die Arbeitnehmervertretung dazu? Wenn sie kompetent ist, sollte sich die Begeisterung bei Betriebs- und Personalräten in Grenzen halten. Der Arbeitsschutz untersucht keine Arbeitnehmer, sondern Arbeitsplätze. Man kann allerdings durchaus der Verhaltensprävention dienende Tests (z.B. der WAI) in Mitarbeiterbefragungen (z.B. zusätzlich zum IMPULS-Test, dem COPSOQ usw.) einsetzen, wenn das anonym passiert. Die Mitarbeiter sind dann gewissermaßen "Sensoren" für die auf sie wirkenden Belastungen. Ich rate keinem Mitarbeiter, sich mit nicht wirklich vom Arbeitgeber unabhängigen Leuten über persönliche Daten zu unterhalten, die mit "Stressmessungen" oder "Arbeitsfähigkeitstests" (WAI) gewonnen wurden.


    Es gibt Testverfahren wie Sand am Meer.
    Es kann schon ein ziemlicher Stress sein, da etwas auszusuchen :-). Auch darum kann ich den Hinweis auf den IMPULS-Test unterstützen. Den COPSOQ hatte ich erwähnt, weil er eine gute überbetriebliche Vergleichbarkeit bietet.

    ... dass eine Depression mit sucicidaler Kompente im Verlauf nichts anders ist als eine coronare Herzererkrankung, KHK (Verkalkung der Herzkranzgefäße). ...

    Physische Erkrankungen können Folge von Depressionen sein, aber das muss nicht immer passieren. Depressionen sind heute übrigens recht gut therapierbar. Im Arbeitsschutz möchte wir aber eigentlich verhindern, dass es überhaupt zu arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen (ggf. mit psychosomatischen Folgen) kommt. Leider fehlen in der großen Mehrheit der Betriebe die für den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz erforderlichen und mitbestimmt gestalteten Prozesse. Die Erfahrungen, die Sifas mit der Beurteilung technischer Gefährdungen haben, lassen sich nicht 1:1 auf die Beurteilung psychischer Gefährdungen übertragen.

    ArbSchG: Flügelschraube, ist das geänderte ArbSchG schon in Kraft? Mal sehen, wann die alte Version Geschichte sein wird. Ich sehe die Änderung mit gemischen Gefühlen: Einerseits schafft sie Klarheit. Andererseits muß man aufpassen, dass nun nicht (entgegen der bisherigen Rechtsprechung) behauptet wird, dass der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz vor der Änderung nicht vorgeschrieben gewesen sei.

    Überlastete Arbeitnehmer: Spiegeln die Gefährdungsbeurteilungen der Arbeitsplätze der Dir bekannten überlasteten Arbeitnehmer deren Belastungssituation tatsachengerecht wieder? Auch bei gutem Willen fehlen in vielen Betrieben häufig noch mitbestimmt gestaltete Prozesse zur Erfassung psychischer Belastungen sowie zu ihrer Bewertung (akzeptable Belastung oder Fehlbelastung?). Die systematische und ggf. auch in Gefährdungsbeurteilungen dokumentierte Auseinandersetzung mit psychischen Belastungen ist für viele Arbeitgeber eine eher unwillkommene Herausforderung. Im Gegensatz zu den sich im technischen Arbeitsschutz stellenden Fragen geht es hier vorwiegend um Fragen der Führung. Das kann auch zu neuen Konflikten für Sifas führen.

    Psychische Überlastung & persönlicher Makel: Wenn es um psychische Belastungen geht, dann kommen im Arbeitsschutz die Arbeitsplätze auf die Couch, nicht die Mitarbeiter selbst. Für manchen ist das ein intuitiv vielleicht nicht immer nachvollziehbarer Ansatz. Er hilft aber dabei, von fehlbelastenden Arbeitsplätzen fehlbeanspruchten Arbeitnehmern nicht sofort persönlich auf die Pelle zu rücken, wenn sie z.B. Fehlbelastungen melden. (Es gibt Unternehmen, die bei Fehlbelastungsmeldungen den Arbeitsschutz in vorschriftenwidriger Weise übergehen und dem solche Meldungen abgebenden Mitarbeiter gleich eine "einfachere" Aufgabe mit Herabstufung in eine niedrigere Tarifgruppe "anbieten". Dabei müsste hier erst einmal die Gefährdungsbeurteilung überprüft werden.) Eine psychische Fehlbelastung ist zunächst ein "Makel" der Arbeitsplatzes (der Arbeitsbedingungen usw.), und nicht des betroffenen Arbeitnehmers.


    Stimmt so nicht. Man muss es nur so einstellen, dass immer nur einer darauf zugreifen kann ;)

    Warum gräbst Du eigentlich die ganzen alten Threads aus ?(

    Klar gibt es Möglichkeiten, Dokumente in der von Dir vorgeschlagenen Weise im Intranet zu veröffentlichen. Aber die elektronischen Versionen des Standards sind persönliche Kopien. Wie auch immer, Juristen fällt bedarfsweise immer etwas ein, warum es geht oder nicht geht.

    Zu den alten Threads: Dass ein Thread alt ist, bedeuten nicht zwingend, dass er veraltet ist.

    Wo kommen die mentalen Arbeitsbelastungen (psychischen Belastungen) eigentlich her, die schon seit 1996 in den Gefährdungsbeurteilungen hätten beurteilt werden müssen? Wo ist überhaupt das Problem? Mentale Arbeitsbelastungen sind heute doch die Grundlage des Einkommens vieler Menschen. Ohne Belastungen gäbe es keine Jobs. Also Fehlalarm? Leider nicht: Nicht die Belastungen, sondern die Fehlbelastungen sind das Problem. Dafür ist der Arbeitsschutz zuständig - und wegen seiner bisherigen Techniklastigkeit entsprechend überfordert. (Ist das vielleicht kein Versehen?)

    Der Unterschied zwischen Belastung und Fehlbelastung ist in den Betrieben der Unternehmen mitbestimmt und betriebsbezogen im Rahmen sehr weitgesteckter Vorschriften zu klären. Das ist für die Arbeitnehmervertreter und die Arbeitgeber nicht einfach. Bis vor wenigen Jahren wurde diese Hausaufgabe einfach nicht gemacht. Inzwischen wird's aber ernster. Dabei geht keine Seite neutral an das Thema heran, denn es könnten einige bisher nicht so offen angesprochene Führungsmethoden in Frage gestellt werden. Wohl auch deswegen wird gerne darauf hingewiesen, dass das Thema heute "Mode" sei, weil psychische Erkrankungen (eigentlich etwas anderes, als psychische Fehlbelastungen) heute besser erkannt werden. Ebenfals gerne und reichlich eristisch wird auch angemerkt, dass Arbeitslosigkeit psychisch belastender sei, als psychisch belastende Arbeit. Zudem gebe es ja auch Belastungen außerhalb der Arbeitswelt usw. usw.

    Klar ist jedoch, dass sich die Arbeitswelt beträchtlich verändert hat. Wie sehen diese Veränderungen aus? Bei der Beantwortung dieser Fragen helfen vielleicht die acht Seiten zum Thema Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen, die eine Arbeitsgruppe um Rolf Haubl vom Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt und Günter Voß von der TU Chemnitz produziert hatte. Im Auftrag der DGSv befragten sie ausgewählte Supervisorinnen und Supervisoren (erfahrene Psychotherapeuten, die angehende Psychotherapeuten in der Praxis begleiten und anleiten) nach ihren Einschätzungen gegenwärtigen Veränderungen von Arbeitsbedingungen in Organisationen. Man kann das von einem Server der Uni Kassel herunterladen.

    Zum Thema der mentalen Arbeitsbelastungen (bzw. zu psychischen Belastungen) gibt es bei der DGUV noch ausführlichere Materialien für Ausichtspersonen, die zeigen, wie die Gewerbeaufsicht prüft (oder zumindest prüfen könnte):

    Diese Materialien sind auch heute noch aktuell und können auch Sicherheitsfachkräften helfen, so zu prüfen, wie die Aufsicht das tun sollte. Das schon im Jahr 2004 vorhandene Wissen hatte damals wohl nicht ausgereicht, die (oft auch heute noch) überwiegend technisch orientierten Aufsichtspersonen (und Sicherheitsfachkräfte) für den Bereich der mentalen Arbeitsbelastung ausreichend zu trainieren. Heute wird das z.T. nachgeholt, aber reichen vielleicht mal fünf Tage Training? Wie leider so oft, wurde erst gehandelt, als das Thema anfing, wirkliche Unannehmlichkeiten zu bereiten.

    Im Titel dieses Eintrags habe ich absichtlich nicht "psychische Belastung" benutzt, sondern "mentale Arbeitsbelastung", denn in der englischsprachigen Norm ISO 10075 geht es um genau das: mental workload. Leider ist daraus in der deutschen DIN 10075 dann "psychische Belastung" geworden.

    Im Juli gab DGUV eine neu Handlungshilfe zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen heraus, die sehr verständlich geschrieben ist. "Dieser IAG-Report ist ein praktischer Leitfaden und richtet sich an all diejenigen, die sich für die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen interessieren."
    IAG Report 1/2013
    Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen - Tipps zum Einstieg

    Link: http://publikationen.dguv.de/dguv/udt_dguv_…x?FDOCUID=26149

    Die Leitfäden kann man leider wohl nur kaufen, bei TÜV SÜD Media von Reinertz u.ä. Anbietern.

    Ja, das ist ein Nachteil von OHSAS 18001. Darum kann der Standard leider auch nicht im Intranet eines Unternehmens allen Mitarbeitern zugänglich gemacht werden.

    Ein paar Links:


    Hilfreich ist es insbesondere, bei der Implementierung eines AMS nach OHSAS 18001 von vorneherein mit den Arbeitnehmervertretern zusammenzuarbeiten. Mit denen kann man z.B. eine paritätische Komission einrichten. Da braucht man dann nicht alles kleinklein zu regeln, sondern so eine Komission bietet eine Struktur, flexibel auf viele unterschiedliche mögliche Gefährdungen einzugehen, die heute ja gerade im Bereich der psychischen Belastungen berücksichtigt werden müssen. Wenn die Auditoren und die Gewerbeaufsicht versteht, dass die Zusammenarbeit mit (kompetenten) Arbeitnehmervertretern gut läuft, dann ist schon viel gewonnen.