In acht Monaten sind in Bayern 25 Menschen bei Waldarbeiten ums Leben gekommen. Damit angehende Forstingenieure für den Notfall gewappnet sind, gab es kürzlich eine Großübung im Freisinger Forst.
Freising – Das Martinshorn ertönt, Blaulicht blitzt auf dem Weg entlang der Forststraße auf. Das letzte Stück bahnen sich die Sanitäter den Weg zu Fuß durchs Gestrüpp. Aus dem Wald sind Schreie zu hören. Jetzt muss es schnell gehen: Eine Forstwirtin hat sich bei der Arbeit mit einer Seilwinde das Bein eingeklemmt. Ihr Fuß steckt fest, der Unterschenkel ist zertrümmert. Nachdem ihre Kollegen den Notruf abgesetzt und Erste Hilfe geleistet haben, übernehmen die Rettungskräfte die Versorgung der verletzten Frau. Die Feuerwehr rückt mit dem Hebebaum an, um sie zu befreien. In dem Szenario, das sich am Donnerstagvormittag im Freisinger Weltwald abspielt, funktioniert alles reibungslos. Am Ende gibt es Applaus: Die Beteiligten haben die schwierige Situation mit Bravour gemeistert.
Waldunfälle: 25 Tote in acht Monaten
Der Forstunfall mit der Seilwinde ist glücklicherweise nicht echt. Er ist eines der vier Szenarien, die Studenten der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) im Rahmen einer groß angelegten Rettungsübung im Lehrrevier trainieren, um für den Ernstfall gewappnet zu sein. Im Zeitraum von Januar bis August 2019 sind in Bayern 25 Menschen bei Waldarbeiten ums Leben gekommen. Zur Prävention seien praktische Schulungskonzepte unerlässlich, sagt Florian Rauschmayr, der im Studiengang Forstingenieurwesen im Modul „Waldarbeitslehre und Arbeitssicherheit“ das freiwillige Training im Freisinger Forst organisiert hat. „Es ist unsere erste Übung in so großem Stil.“ Zu den Teilnehmern gehören nicht nur über 100 Studierende, sondern auch 23 Schüler vom Münchner Lehrinstitut für präklinische Rettungsmedizin und die TU-Werkfeuerwehr Weihenstephan. Zudem sind Vertreter der Fakultät Wald und Forstwirtschaft, des Forstbetriebs Freising sowie der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (LBG) vor Ort.
Alle Szenarien haben sich tatsächlich zugetragen
Die Szenarien, die die Studierenden sowie die angehenden Notfallsanitäter bewältigen müssen, sind vielfältig: Eine herabstürzende Baumkrone verletzt einen Waldarbeiter schwer. Ein anderer will einen Baum aus dem Wald transportieren, die Krone bricht ab, rammt sich durch die Schlepperkabine und klemmt den Fahrer ein. Ein Dritter wird bei Fällarbeiten von einem Baum schwer getroffen – und eben der Unfall mit der Seilwinde. „Das alles sind Szenarien, die sich leider tatsächlich so zugetragen haben“, sagt Dozent Rauschmayr.
„Wir können den Klimawandel messen“
Der Klimawandel spiele eine maßgebliche Rolle: Die zunehmenden und immer heftigeren Stürme, die Borkenkäferplage und das Eschentriebsterben würden Forstarbeiter für immense Herausforderungen stellen – der Wald werde instabiler. Seit 2015 seien Veränderungen spürbar, „2018 und 2019 ist das förmlich explodiert“, sagt der Dozent. „Wir können den Klimawandel messen.“ An der HSWT würden Forschung und Technik zwar eine immer stärkere Rolle spielen. „Da sind wir aber erst am Anfang.“ Bis ferngesteuerte Fällkeile einsatzfähig sind, müsse weiterhin der Mensch ran. „Es ist wichtig, ein Bewusstsein für die Gefahren bei der Waldarbeit zu schaffen“, sagt Bernd Mazzolini, der beim LBG für Unfallverhütung zuständig ist.
Die erste Übung dieser Art – aber sicher nicht die letzte
Um im Notfall keine lebensrettende Zeit verstreichen zu lassen, ist das Training im Wald vor allem auf die Logistik und den richtigen Aufbau der Rettungskette ausgelegt. Wer alarmiert wann wen? Wo sind die Rettungspunkte, die der Orientierung dienen? Was genau ist passiert? Ein einziges Wort mache oft den Unterschied, betont Rauschmayr in der Nachbesprechung zur Seilwinden-Übung. Wäre „eingeklemmt“ im Notruf nicht erwähnt worden, hätten sich nur Rettungsdienst und Notarzt auf den Weg gemacht. „Die Feuerwehr dann nachzualarmieren, kostet wertvolle Zeit.“
Zum Schluss spricht Florian Rauschmayr den Studierenden ein „großes Kompliment“ aus. Die erste Rettungsübung hat ihren Zweck erfüllt – und sie wird sicher nicht die letzte gewesen sein. Der Organisator betont: „Wir müssen was tun.“