Explosionsfähige Atmosphäre

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  • Hallo zusammen,

    ich habe ein Problem mit dem Berechnen einer explosionsfähigen Atmosphäre. Da ich (glücklicherweise) nur gaaaaanz wenig damit zu tun habe, tue ich mich damit auch etwas schwer. Folgende Fakten:

    Wir produzieren für pharm. Anwendungen Zerstäuberpumpen (kennt man vom Nasenspray). Zur Prüfung dieser Pumpen werden diese getestet und zwar durch versprühen einer 16% Ethanol in Wasser Lösung. Bei jedem Sprühvorgang werden max. 200mg versprüht. Es kann schon sein, dass hier bis zu 200 mal in Folge gesprüht wird. Wir machen das unter einem Abzug, der aber nicht Ex-geschützt ist.

    Meine Rechnung:

    16% von 200mg sind 32mg oder 0,032g. Dichte von Ethanol ist 0,790; 0,032g x 0,790 = 0,0253cm³
    Der Sprühnebel hat eine Abmessung von ca. 20 x 20 x 30cm, also 12.000cm³
    0,0253cm³ von 12.000cm³ sind 0,00021%

    Da die UE von Ethanol bei 3,5% liegt, bin ich (selbst bei 200 x sprühen) weit im sicheren Bereich, oder ?(

    Ich hoffe, ihr könnt mir da folgen. Ausserdem hoffe ich, nicht erschlagen zu werden, wenn ich irgendwelchen Unsinn geschrieben habe. ;(

    Grüße
    Mikey

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  • ... Ausserdem hoffe ich, nicht erschlagen zu werden, wenn ich irgendwelchen Unsinn geschrieben habe. ;(


    :21:
    Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen ;)
    Bauco hat schon eine relevante Frage gestellt. Alkohole werden oft als Vol.-% angegeben, da man dabei die größeren Zahlen erhält und das freut den Konsumenten. Deine Berechnung verwendet Masse-%, was durchaus möglich wäre und der Fehler in der Berechnung geht in Richtung mehr Sicherheit, denn wenn wirklich von Vol.-% auszugehen wäre, würdest Du auf mehr Alkohol nach Deiner Rechnung kommen, als in Realität vorhanden ist.

    ...Wir machen das unter einem Abzug, der aber nicht Ex-geschützt ist.


    Was für ein Abzug? Ein gängiger Laborabzug oder eine andere Konstruktion? Welche Luftwechselrate bzw. Abluftrate hat der Abzug?

    ...
    Meine Rechnung:

    16% von 200mg sind 32mg oder 0,032g. Dichte von Ethanol ist 0,790; 0,032g x 0,790 = 0,0253cm³
    Der Sprühnebel hat eine Abmessung von ca. 20 x 20 x 30cm, also 12.000cm³
    0,0253cm³ von 12.000cm³ sind 0,00021%

    Da die UE von Ethanol bei 3,5% liegt, bin ich (selbst bei 200 x sprühen) weit im sicheren Bereich, oder ?(

    Rechnung und Rechenweg ist nachvollziehbar und erscheint auf den ersten Blick auch korrekt, ist es aber nicht!

    Beim Versprühen muss man 2 Dinge beachten. Das Ethanol liegt ursprünglich ja flüssig vor und wird dann fein verstäubt. Anhand der erhöhten Oberfläche ist die Brennbarkeit deutlich verbessert, somit höhere Gefahr. Nach GHS gibt es deswegen extra die Kategorie Aerosole, die in der EU nur unvollständig umgesetzt wird. Bei dem Sprühvorgang wird auch ein Teil des Ethanols verdampfen und somit gasförmig vorliegen. Man kann jetzt eine komplexe Berechnung mit einer ganzen Menge Parametern durchführen oder einfach davon ausgehen dass alles Ethanol schlagartig und vollständig verdampft. Letzteres ist die einfacher zu berechnende Variante.
    Berechnung erfolgt üblicherweise über die ideale Gasgleichung, man kann bei 20°C und 1013 hPa auch das molare Volumen von 24l/mol ansetzen.
    Ein Sprühstoß enthält 0,032g. Über die molare Masse von Ethanol (56,07 g/mol) entspricht dies einer Stoffmenge von 0,00057 mol. Pro mol entstehen 24l Ethanoldampf, hier also 0,014l.
    Als Sprühnebelvolumen hast Du 12l angegeben. Davon 3,5% sind 0,42l. Du bist mit einem Sprühstoß nur bei 0,014l, also noch weit von der Explosionsgrenze entfernt. Würdeset Du jetzt allerdings 200 Sprühstöße in einen Eimer mit 12l sprühen, so würdest Du auf 200*0,014l=2,8l Ethanoldämpfe kommen. Das sind dann 23% Deines zur Verfügung stehenden Volumens und Du bist voll im Ex-Bereich.
    Allerdings sprühst Du ja im Abzug und nicht in einen geschlossenen Eimer.
    Wenn nun innerhalb von 5 Minuten 200 Sprühstöße erfolgen und Du maximal 20% der UEG erreichen möchtest (dann geht man davon aus, dass man im sicheren Bereich ist) muss man folgendes berechnen:
    200 Sprühstöße = 2,8l
    Nach GESTIS ist die UEG von Ethanol bei 3,1%, also nehme ich diesen niedrigeren Wert. 20% von der UEG von 3,1% sind 0,62%. Diese 0,62% sollen nicht überschritten werden. => 2,8l entsprechen 0,62% => 2,8l/0,62%*100%= 451,6l. Diese Menge Luft muss somit innerhalb von 5 Minuten ausgetauscht werden um unterhalb der explosionsfähigen Atmosphäre zu bleiben. Auf die Abluftleistung pro Stunde hochgerechnet wird somit ein Abzug mit ca. 5,5m³/h benötigt. Ein gängiger Laborabzug zieht ein Vielfaches davon ab.

    Zur besseren Lesbarkeit verwende ich in meinen Beiträgen das generische Maskulinum. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

  • Hi Tiefflieger,

    Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen ;)

    ... so kräftig hätte mir keiner auf den Kopf klopfen können, dass ich auf deine Berechnung gekommen wäre.
    Vielen Dank für deine ausführlichen Berechnungen und Erklärungen. :thumbup:

    Zu deinen Fragen: Ja, wir nutzen einen "normalen" Laborabzug, fest montiert, aber eben nicht Ex-geschützt.
    Deinen Berechnungen folgend befinden wir uns aber im absolut sicheren Bereich, da das 200-fache Sprühen über einen Zeitraum von einigen Stunden erfolgt.
    Nochmals vielen Dank, ich hatte schon die Befürchtung, alles auf EX-geschützt umbauen zu müssen.

    Erleichterte Grüße :rolleyes:
    Mikey

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  • Tolle Rechnung tiefflieger,

    ich habe nur eine Verständnisfrage:

    Wenn es heisst 16%ige Lösung von Ethanol in Wasser und du versprühst das Ganze in einem Nebel, dann ist da immer noch 84% Wasser und 16% Ethanol (mal die Inhaltsstoffe außen vor gelassen). Das ist in etwa wie mein Sherry oder Likör daheim. Der brennt auch nicht, auch wenn ich ihn versprühe.

    Oder mache ich einen Denkfehler und der Ethanol trennt sich im Sprühnebel aus dem Wassergemisch? ?(

    Gruß Holgi

    Kein Mensch ist so beschäftigt, dass er nicht die Zeit hat, überall zu erzählen, wie beschäftigt er ist. (R. Lemke)

  • ...Oder mache ich einen Denkfehler und der Ethanol trennt sich im Sprühnebel aus dem Wassergemisch? ?(


    Wie wird Schnaps "gebrannt"? Durch Destillation und dabei trennt man den Alkohol von Wasser und anderen Stoffen ab. In der von mir durchgeführten Berechnung wurde nur der brennbare Alkohol berücksichtigt. Hier evt. auch noch vorhandenes Wasser führt natürlich zur Hemmung der ganzen Reaktion. Allerdings lässt sich dies nur über eine sehr komplexe thermodynamische Berechnung rechnerisch ermitteln, mit unverhältnismäßig hohem Rechenaufwand und trotzdem großer Fehlerrate.
    Meine Rechnung liefert im Prinzip ein Worst Case Szenario, ohne Berücksichtigung von hemmenden Wechselwirkungen.
    Bei der Einstufung von alkoholischen Lösungen, was die Brennbarkeit angeht, wird wohl in absehbarer Zeit einiges an Änderungen fällig, denn im Zuge von REACH hat man erkannt, dass so manche Alkoholmischungen besser brennen als man bisher angenommen und behauptet hat.

    Gängige Laborabzüge müssen nur in Ausnahmefällen Ex-geschützt sein, denn die hohe Luftwechselrate verhindert in vielen Fällen, dass man in den Bereich explosionsfähiger Atmosphäre kommt.

    Zur besseren Lesbarkeit verwende ich in meinen Beiträgen das generische Maskulinum. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

  • Hallo AxelS

    Vielen Dank für deine ausführliche berechnung! Kann man diese Rechnung auch auf einen Fall ohne Absaugung anwenden?

    Raum: 150 m3

    Raumlufttechnische Lüftung: 300 m3/h (100% Frischluftanteil)

    Ethanol: 1x500 ml pro Tag verdampft innerhalb einer Stunde (worst case offenes Becherglas mit großer Oberfläche)

    Deine Rechnung wäre:

    0,5l / 0,62% x 100% = 80,65 l

    Sprich 80,65 l müssen pro Stunde ausgetauscht werden.

    Heißt die raumlufttechnische Anlage muss mindestens 0,08 m3/h betragen?

    Mit unseren 300m3/h wären wir ja weit drüber..

    Oder würde man trotzdem den Arbeitsbereich wo das Becherglas steht (0,5 m drum herum) als Zone2 bezeichnen?

    Oder wäre das zu übertrieben ein 500 ml ethanol offenes becherglas als Zone 2 zu definieren? natürlich würde ich trotzdem in der Betriebsanweisung die Grundregeln angeben, dass keine Zündquellen in der Nähe sein dürfen.

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  • Achtung, die von dir verwendete Menge Ethanol liegt zunächst ja flüssig vor. Aus dieser Flüssigkeit entsteht Ethanoldampf. Dämpfe haben ein deutlich höheres Volumen, als die dazugehörige Flüssigkeit. Daher funktioniert Deine Rechnung hier nicht. Du musst zunächst das Dampfvolumen bestimmen, oder einen anderen Weg gehen.

    Ein Blick in die Gestis Datenbank liefert eigentlich alles was benötigt wird.

    Ethanol hat eine molare Masse von 46,07 g/mol. Darüber kann man dann das Dampvolumen ausrechnen über die ideale Gasgleichung.

    Ich wähle aber einmal einen anderen Weg, denn viele Wege führen zum Ziel.

    Die Dichte von reinem Ethanol ist 0,79g/cm³ => Deine 0,5l entsprechen somit 395g.

    Jetzt wieder ein Blick in Gestis zur unteren Explosionsgrenze. Da findest Du zwei Werte:

    UEG = 3,1 Vol.-% bzw. 59g/m³

    Wir wählen den zweiten Wert.

    Wir wollen nur 20% der UEG als Grenze verwenden, um auf der sicheren Seite zu sein => 20% von 59g/m³ sind 11,8g/m³

    Jetzt die Berechnung: 395g/11,8g/m³ ergibt ein benötigtes Raumvolumen von 33,47m³

    Somit kann ein Raum von 33,47m³ Raumvolumen mit 20% der UEG beaufschlagt sein, wenn 0,5l Ethanol verdampft.

    Du bist mit Deinem Raum von 150m³ und einem zweifachen Luftwechsel noch weit von einer explosionsfähigen Atmosphäre entfernt.

    :96:Es ist faktisch unter Raumtemperatur und atmosphärischem Druck nicht möglich, dass 0,5l Ethanol innerhalb einer Stunde aus einem Glas verdampft, außer ZZZ ist in der Nähe und das Ethanol ist Bestandteil eines ungarischen Edelschnapses, aber dann verdampft das auch nicht, sondern verschwindet in ZZZs Kehle.:111:

    Verschüttet auf einer entsprechend großen Fläche, könnte die Menge durchaus verdunsten.

    Ich würde keine Ex-Zone um ein Becherglas mit Ethanol definieren denn dazu reicht das üblicherweise vorhandene Volumen an explosionsfähiger Atmosphäre in der Regel nicht aus (Grenzmenge sind hier 10l).

    Direkt oberhalb der Flüssigkeit bestehen genügend brennbare Dämpfe um eine Zündung zu ermöglichen. Daraus ergibt sich eine potentielle Brandgefahr, aber noch lange keine Explosionsgefahr und das Ethanol ist ja auch entsprechend gekennzeichnet.

    Zur besseren Lesbarkeit verwende ich in meinen Beiträgen das generische Maskulinum. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

  • Super Dankeschön AxelS!!

    Ich würde auch keine ex Zone um das Bexherglas machen, dich dann lese ich so Sätze wie:

    "So entstehen z. B. aus 1 ml flüssigem Benzin rund 200 ml Dampf. Durch das Zumischen von ausreichend Luft zur Erzeugung einer explosionsfähigen Atmosphäre an der unteren Explosionsgrenze wird eine weitere Volumenvergrößerung um das 12,5- bis 170-fache bewirkt. Daraus folgt, dass aus 1 ml Benzin 2,4 bis 31 l explosionsfähige Atmosphäre entstehen kann."

    Quelle https://www.arbeitssicherheit.de/schriften/doku…562446%2C9.html

    Daraus muss ich doch schlusssfolgern, dass 500 ml ethanol auch über 10 l explosionsfähige atmosphäre bilden kann oder? Bzw. Wie kann ich ausrechnen, dass sich nicht diese 10 l explosionsfähige atmosphäre um mein Becherglas bildet?

  • Wenn Du für die UEG 59g/m³ benötigst, dann entstehen 10l explosionsfähige Atmosphäre aus 0,59g. Klingt wenig, ist auch wenig, aber trotzdem so viel, wie unter üblichen Bedingungen niemals direkt verdampfen wird.

    Zum Vergleich, im medizinischen Bereich, oder momentan fast überall, findet Händedesinfektion statt. Dabei verwendet man in der Regel alkoholische Lösungen mit >70% Alkoholanteil, oft Isopropanol, aber auch Ethanol. Es entstehen dabei grob 30l explosionsfähige Atmosphäre um die Hände herum. Die Verdampfung geschieht relativ schnell, da die Haut ja warm ist und das Mittel verrieben wird. Trotzdem macht sich dabei niemand Gedanken darum, hier eine Ex-Zone zuzuordnen. Für die Ex-Zone und die 10l ist auch relevant, dass der Bereich umschlossen ist, also irgendwie in einem Gehäuse stattfindet. Einfach so einen Bereich im Raum kann man daher schlecht als kritisch ansehen, solange nicht der ganze Raum betroffen ist.

    Ich habe vor Jahren schon auf die Gefahr einer Zündung bei einer solchen Desinfektion hingewiesen und mir sind auch 3 Fälle bekannt, bei denen es dann auch erfolgt ist. Im Vergleich zur Anzahl der durchgeführten Desinfektionen ist aber die Schadenshäufigkeit verschwindend gering.

    Zur besseren Lesbarkeit verwende ich in meinen Beiträgen das generische Maskulinum. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.