Gefährdungsbeurteilung mentaler Arbeitsbelastungen

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  • Im Titel dieses Eintrags habe ich absichtlich nicht "psychische Belastung" benutzt, sondern "mentale Arbeitsbelastung", denn in der englischsprachigen Norm ISO 10075 geht es um genau das: mental workload. Leider ist daraus in der deutschen DIN 10075 dann "psychische Belastung" geworden.


    Im Juli gab DGUV eine neu Handlungshilfe zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen heraus, die sehr verständlich geschrieben ist. "Dieser IAG-Report ist ein praktischer Leitfaden und richtet sich an all diejenigen, die sich für die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen interessieren."
    IAG Report 1/2013
    Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen - Tipps zum Einstieg


    Link: http://publikationen.dguv.de/d…v_main.aspx?FDOCUID=26149

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  • Zum Thema der mentalen Arbeitsbelastungen (bzw. zu psychischen Belastungen) gibt es bei der DGUV noch ausführlichere Materialien für Ausichtspersonen, die zeigen, wie die Gewerbeaufsicht prüft (oder zumindest prüfen könnte):

    Diese Materialien sind auch heute noch aktuell und können auch Sicherheitsfachkräften helfen, so zu prüfen, wie die Aufsicht das tun sollte. Das schon im Jahr 2004 vorhandene Wissen hatte damals wohl nicht ausgereicht, die (oft auch heute noch) überwiegend technisch orientierten Aufsichtspersonen (und Sicherheitsfachkräfte) für den Bereich der mentalen Arbeitsbelastung ausreichend zu trainieren. Heute wird das z.T. nachgeholt, aber reichen vielleicht mal fünf Tage Training? Wie leider so oft, wurde erst gehandelt, als das Thema anfing, wirkliche Unannehmlichkeiten zu bereiten.

  • Wo kommen die mentalen Arbeitsbelastungen (psychischen Belastungen) eigentlich her, die schon seit 1996 in den Gefährdungsbeurteilungen hätten beurteilt werden müssen? Wo ist überhaupt das Problem? Mentale Arbeitsbelastungen sind heute doch die Grundlage des Einkommens vieler Menschen. Ohne Belastungen gäbe es keine Jobs. Also Fehlalarm? Leider nicht: Nicht die Belastungen, sondern die Fehlbelastungen sind das Problem. Dafür ist der Arbeitsschutz zuständig - und wegen seiner bisherigen Techniklastigkeit entsprechend überfordert. (Ist das vielleicht kein Versehen?)


    Der Unterschied zwischen Belastung und Fehlbelastung ist in den Betrieben der Unternehmen mitbestimmt und betriebsbezogen im Rahmen sehr weitgesteckter Vorschriften zu klären. Das ist für die Arbeitnehmervertreter und die Arbeitgeber nicht einfach. Bis vor wenigen Jahren wurde diese Hausaufgabe einfach nicht gemacht. Inzwischen wird's aber ernster. Dabei geht keine Seite neutral an das Thema heran, denn es könnten einige bisher nicht so offen angesprochene Führungsmethoden in Frage gestellt werden. Wohl auch deswegen wird gerne darauf hingewiesen, dass das Thema heute "Mode" sei, weil psychische Erkrankungen (eigentlich etwas anderes, als psychische Fehlbelastungen) heute besser erkannt werden. Ebenfals gerne und reichlich eristisch wird auch angemerkt, dass Arbeitslosigkeit psychisch belastender sei, als psychisch belastende Arbeit. Zudem gebe es ja auch Belastungen außerhalb der Arbeitswelt usw. usw.


    Klar ist jedoch, dass sich die Arbeitswelt beträchtlich verändert hat. Wie sehen diese Veränderungen aus? Bei der Beantwortung dieser Fragen helfen vielleicht die acht Seiten zum Thema Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen, die eine Arbeitsgruppe um Rolf Haubl vom Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt und Günter Voß von der TU Chemnitz produziert hatte. Im Auftrag der DGSv befragten sie ausgewählte Supervisorinnen und Supervisoren (erfahrene Psychotherapeuten, die angehende Psychotherapeuten in der Praxis begleiten und anleiten) nach ihren Einschätzungen gegenwärtigen Veränderungen von Arbeitsbedingungen in Organisationen. Man kann das von einem Server der Uni Kassel herunterladen.

  • Hm für mich ist das Wortklauberei.
    Mental vs. psychisch...
    Interessant ist doch was dabei rüber kommt.


    Hardy

    Multiple exclamation marks are true sign of a diseased mind.
    (Terry Pratchett)
    Too old to die young (Grachmusikoff)

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  • Hallo achzehntausendeins!


    ich bin etwas unsicher, was Du eigentlich willst.
    Ich kenne eine ganze Reihe von betreuten Arbeitnehmern, die völlig überlastet sind.
    Die Konsequenz ist noch unklar.
    Immerhin steht im ArbSchG nun psychische Belastung! (seit 26.06.2013)
    In NRW will scheins die GAA in GeBe dies berücksichtigt wissen.
    Ausweg der Kollegen: "Eine psychische Belastung ist nicht erkennbar."
    Selbst die Betroffenen sehen keine außergewöhnliche Belastung, bevor sie zusammenklappen.
    Wenn eine Entzündung kein persönlicher Makel ist, sollte eine psychische Überlastung dies auch nicht sein.


    Grüße
    Flügelschraube

  • Hardy, ich bin über jeden froh, für den das Wortklauberei ist. Andere machen beim Wort "psychisch" schnell die Schotten dicht.

    Ah jetzt ja, eine Insel. Darauf willst Du hinaus.
    Gut, das ist durchaus eine Überlegung wehrt. Aber mittlerweile sind psychische Erkrankungen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und das bedeutet auch, dass sie lange nicht mehr so stigmatisierend sind, wie das einmal war.


    Wir haben einen starken Anstieg von Burnout-Erkrankungen. Allerdings glaube ich nicht, dass die wirkliche Zahl so stark angestiegen ist:
    Die Leute haben jetzt eben keine Angst mehr sich dazu zu bekennen, dass sie psychisch unter Druck stehen. Also hat in meinen Augen vor allem eine Verstimmung von "Dunkelziffer" hin zur tatsächlich diagnostizierten Erkrankung stattgefunden.


    Jede Sifa sollte verinnerlichen, dass es zwischen psychischer und physischer Erkrankung nur einen Unterschied gibt und das ist der Ort des Geschehens. Erkrankungen sind es aber beides.


    Ich habe auch einige Zeit gebraucht, bis ich kapiert habe, dass eine Depression mit sucicidaler Kompente im Verlauf nichts anders ist als eine coronare Herzererkrankung, KHK (Verkalkung der Herzkranzgefäße). Die schlimmste Komplikation der KHK ist der Infarkt und irgendeiner verläuft dann tötlich. Nichts anderes bei der Depression, wenn beim Umschlag in die manische Phase das Suicidrisiko hochschnellt. Auch hier ist ein Versuch dann irgendwann der letzte.


    Ich hoffe, ich konnte mit diesem Vergleich die Gleichartigkeit dieser doch so unterschiedlichen Erkrankung, psychisch vs. physisch, verdeutlichen.


    Hardy

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  • ArbSchG: Flügelschraube, ist das geänderte ArbSchG schon in Kraft? Mal sehen, wann die alte Version Geschichte sein wird. Ich sehe die Änderung mit gemischen Gefühlen: Einerseits schafft sie Klarheit. Andererseits muß man aufpassen, dass nun nicht (entgegen der bisherigen Rechtsprechung) behauptet wird, dass der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz vor der Änderung nicht vorgeschrieben gewesen sei.


    Überlastete Arbeitnehmer: Spiegeln die Gefährdungsbeurteilungen der Arbeitsplätze der Dir bekannten überlasteten Arbeitnehmer deren Belastungssituation tatsachengerecht wieder? Auch bei gutem Willen fehlen in vielen Betrieben häufig noch mitbestimmt gestaltete Prozesse zur Erfassung psychischer Belastungen sowie zu ihrer Bewertung (akzeptable Belastung oder Fehlbelastung?). Die systematische und ggf. auch in Gefährdungsbeurteilungen dokumentierte Auseinandersetzung mit psychischen Belastungen ist für viele Arbeitgeber eine eher unwillkommene Herausforderung. Im Gegensatz zu den sich im technischen Arbeitsschutz stellenden Fragen geht es hier vorwiegend um Fragen der Führung. Das kann auch zu neuen Konflikten für Sifas führen.


    Psychische Überlastung & persönlicher Makel: Wenn es um psychische Belastungen geht, dann kommen im Arbeitsschutz die Arbeitsplätze auf die Couch, nicht die Mitarbeiter selbst. Für manchen ist das ein intuitiv vielleicht nicht immer nachvollziehbarer Ansatz. Er hilft aber dabei, von fehlbelastenden Arbeitsplätzen fehlbeanspruchten Arbeitnehmern nicht sofort persönlich auf die Pelle zu rücken, wenn sie z.B. Fehlbelastungen melden. (Es gibt Unternehmen, die bei Fehlbelastungsmeldungen den Arbeitsschutz in vorschriftenwidriger Weise übergehen und dem solche Meldungen abgebenden Mitarbeiter gleich eine "einfachere" Aufgabe mit Herabstufung in eine niedrigere Tarifgruppe "anbieten". Dabei müsste hier erst einmal die Gefährdungsbeurteilung überprüft werden.) Eine psychische Fehlbelastung ist zunächst ein "Makel" der Arbeitsplatzes (der Arbeitsbedingungen usw.), und nicht des betroffenen Arbeitnehmers.

  • ... dass eine Depression mit sucicidaler Kompente im Verlauf nichts anders ist als eine coronare Herzererkrankung, KHK (Verkalkung der Herzkranzgefäße). ...

    Physische Erkrankungen können Folge von Depressionen sein, aber das muss nicht immer passieren. Depressionen sind heute übrigens recht gut therapierbar. Im Arbeitsschutz möchte wir aber eigentlich verhindern, dass es überhaupt zu arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen (ggf. mit psychosomatischen Folgen) kommt. Leider fehlen in der großen Mehrheit der Betriebe die für den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz erforderlichen und mitbestimmt gestalteten Prozesse. Die Erfahrungen, die Sifas mit der Beurteilung technischer Gefährdungen haben, lassen sich nicht 1:1 auf die Beurteilung psychischer Gefährdungen übertragen.

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  • Physische Erkrankungen können Folge von Depressionen sein, aber das muss nicht immer passieren. Depressionen sind heute übrigens recht gut therapierbar. Im Arbeitsschutz möchte wir aber eigentlich verhindern, dass es überhaupt zu arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen (ggf. mit psychosomatischen Folgen) kommt. Leider fehlen in der großen Mehrheit der Betriebe die für den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz erforderlichen und mitbestimmt gestalteten Prozesse. Die Erfahrungen, die Sifas mit der Beurteilung technischer Gefährdungen haben, lassen sich nicht 1:1 auf die Beurteilung psychischer Gefährdungen übertragen.


    Ähm, das sollte nur als Beispiel verdeutlichen, dass man eine psychische Erkrankung gleich behandeln und vor allem gleich betrachten (werten) sollte wie eine psychische Erkrankung.


    Aber obigem muss ich in einem Punkt widersprechen: Eine Depression ist eine Erkrankung aus dem psychiatrischen Formenkreis. Ob eine Depression gut (da habe ich grundsätzliche Zweifel) behandelbar ist, hängt auf jeden Fall davon ab, ob sie endogener oder exogener Genese ist.


    Hardy

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  • So ist es. Aber die Depression ist keine Herzerkrankung, sondern physische Erkrankungen können psychischen Erkrankungen folgen.


    Wo habe ich geschrieben, dass eine Depression eine Erkrankung des Herzens ist? Ah ja, ich habe mich da wohl mistverständlich ausgedrückt:
    Gemeint war, dass die Depression sich mit einer KHK vergleichen lässt.
    Ich dachte allerdings, dass wäre aus dem Kontext klar geworden. Zumal ich es als Beispiel dafür angeführt habe, dass sich eine physische Erkrankung von der physischen in nichts unterscheidet. Beides sind Erkrankungen. Da muss und darf nicht stigmatisiert werden.


    Hardy

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  • Hey, null problemo. Ist doch letztlich nur ein klassisches Beispiel für die Grenzen eines textbasierten Mediums.


    Hardy

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  • Sorry für offtopic, aber es will raus
    Die Normierung arbeitsschutzrelevanter Belange durch die DIN (Beuth-Verlag) sollte imo verboten werden :cursing:

    Respekt, Verständnis, Akzeptanz, Wertschätzung und Mitgefühl

  • Sorry für offtopic, aber es will raus
    Die Normierung arbeitsschutzrelevanter Belange durch die DIN (Beuth-Verlag) sollte imo verboten werden :cursing:

    Off topic, aber interessant. Ich finde Normen auch im Arbeitsschutz hilfreich. Will jemand dazu eine Diskussion aufmachen?

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  • Off topic, aber interessant. Ich finde Normen auch im Arbeitsschutz hilfreich. Will jemand dazu eine Diskussion aufmachen?


    Ganz sicher nicht. Psychische Belastungen normieren zu wollen spricht für sich...


    Hardy

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  • Ganz sicher nicht. Psychische Belastungen normieren zu wollen spricht für sich...


    Hardy

    Hallo Hardy,


    ich bin mir da weniger sicher. Aber nun können wir in der Diskussion zur Gefährdungsbeurteilung bleiben, denn nach welchen Kriterien beurteilen wir psychische Gefährdungen? Und wer bestimmt diese Kriterien?


    Genau genommen normiert die ISO DIN 10075 ja auch gar keine psychische Belastungen. Der Titel ist "Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung". Aber vielleicht gibt es andere Methoden als eine Normierung, psychische Gefährdungen systematisch und nachvollziehbar zu überprüfen. Welche Alternativen gäbe es zu Normen? Und bedeutet des Fehlen geschriebener Normen, dass dann nicht die ungeschriebenen Normen wirksam werden?


    Alles Beste
    achtzehntausendeins

  • Äh, hast Du nicht selbst den Link gepostet?!


    Hardy

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