....und wie ist deine Geschichte, Michael?
1989 wohnte ich in einem Kölner Studentenwohnheim. Anfänglich hatten mehrere Kommilitonen und ich die Absicht, "mal eben" die knapp 600 km nach Berlin zu fahren. Weil die meisten schon vorglühten haben wir dann doch lieber in Köln eine riesen Feier abgehalten.
1991 war ich dank meines Studentenjobs in einem Trockenbauunternehmen das erste Mal im Land des real abgeschafften Sozialismus'. Was ich im Berliner Umland sah hat mich wirklich getroffen. Bewohnte Häuser mit 10 cm Lücken im Mauerwerk, alte originale (!) Nazisymbole sichtbar an den Häusern, alles grau, braun und schäbig. Womit ich die Farben meine, nicht die politische Gesinnung. Heftig fand ich aber einen Altbau, vom Stil wohl zwischen 1900 und 1920 einzuordnen. Das Gebäude trug die verwitterte Beschriftung eines Frisörs aus dem 3. Reich inkl. Hakenkreuz. Die Fassade war deutlich erkennbar vor Jahrzehnten übergestrichen worden, aber - wie mir Anwohner bestätigten - nur einmal wenige Jahre nach dem Krieg. Bis 1991 wurde nichts an der Fassade getan, so dass wie man mir versicherte seit den 70er Jahren das alte Hakenkreuz wieder sichtbar war.
In dem Dorf, in dem ich ein Fremdenzimmer hatte fand damals eine Sperrmüllabfuhr statt. Es wurde auch Metallschrott abgefahren. Von Kleinkram bis zum kompletten Trabbi gab es dort wirklich alles, das entsorgt wurde (kein Witz! Die Kunststoffteile der Karosse lagen fein säuberlich gestapelt auf dem Haufen, die tragende Struktur lag in handliche Stücke geflext oder gesägt daneben). Es gab aber auch etliche Zweiräder, überwiegend Schwalben. Als ich mir am späten Nachmittag mit einem Kollegen die Beine vertreten habe, bewunderten wir ungläubig den Schrott. Da waren teilweise beeindruckende Eigenkonstruktionen dabei - wir konnten nicht glauben, wovon sich die Menschen da trennen wollten.
Bei einer Schwalbe sagte ich: "Na, die sieht doch noch gut aus!" Mehr oder weniger aus Spaß wollte ich mal testen, wie gut die Kompression noch war und trat kräftig auf den Kickstarter. Da sprang die Schwalbe an! Der Schlüssel steckte und befand sich zufällig in der richtigen Position! Ich war platt. Da ich viele Zweiräder ohne Kennzeichen hatte fahren sehen und längst nicht alle Fahrer einen Helm trugen, ging ich davon aus, dass man das wohl nicht so genau nahm und drehte selber eine Runde. Ich war begeistert! Da der Haufen nur zu zwei Häusern gehören konnte, fragte ich zunächst im ersten Haus und hatte im zweiten Erfolg: Ja, die Schwalbe war von dieser Familie entsorgt worden. Ich fragte nach den Papieren und bekam diese.
Ich habe mir dann eine zweite, optisch ansprechende Schwalbe ausgesucht und die beiden Mopeds mit nach Köln genommen. Das war möglich, da wir mit mehreren kleineren Lkws vor Ort waren. In Köln habe ich das Doppelpack für über 900 DM verkauft. Es war so wenig, weil ich mangels Typenkenntnis eine Schwalbe mit 3 Gängen und eine mit 4 Gängen erwischt hatte. Sonst hätte ich wohl noch mehr verlangen können. Egal, die Schwalben waren damals besonders bei Studenten sehr beliebt und gesucht: Die neueren mit Klasse 3 fahrbaren West-50er durften 50 km/h laufen, waren aber selbst gebraucht noch sehr teuer, die älteren West-50er durften nur 40 km/h laufen. Die Ost-50er, also auch die Schwalben, durften jedoch legal 60 km/h rennen - es ist klar, warum sie im Westen so beliebt waren.
2016 und 2017 war ich beruflich in Weimar, Leipzig, Halle und anderen Städten der ehemaligen DDR unterwegs. Schöne Städte mit sehr guter Infrastruktur - keine Spur mehr von der grau-braunen Tristesse im Jahre 1991. Die blühenden Landschaften gibt es tatsächlich.
Eine Stärke der DDR war das sehr gute Bildungssystem. Auch heute ist die Qualität der Lehre an den dortigen Hochschulen hoch, zusätzlich sind die Studienbedingungen allgemein sehr gut. Der im Vergleich zum Westen Deutschlands günstige Lebensunterhalt und die in mehr als ausreichender Zahl verfügbaren kleinen und billigen Unterkünfte machen die Hochschulen in den neuen Bundesländern noch attraktiver.
Ich habe meinen Kindern schon zum Abitur geraten, ein Studium im inzwischen weit schöneren Osten in Betracht zu ziehen. Beide blieben aber zunächst im hiesigen Rheinland. Mein jüngere Tochter hat sich allerdings nach dem erfolgreich abgeschlossenen Bachelorstudium nun zum Masterstudium in Halle entschieden. Bisher ist sie begeistert. Sicher, da die Mauer schon Jahre weg war als meine Tochter geboren wurde ist für sie Sachsen-Anhalt nur eines der anderen 15 Bundesländer, aber sie erlebt Halle als sehr lebenswerte Stadt. Und so sehe ich das auch. Der Osten ist in meinen Augen äußerst reizvoll, wer dort leben darf kann und sollte sich freuen. Der Schwachfug, den Schwachmaten wie der Björn Höcke da ständig verbreiten ist noch weniger als nicht berechtigt.
Gruß Michael